Für viele in der FDP gilt das Verhältnis zu Schäuble als gescheitert. Dessen Äußerungen zum Thema Steuersenkungen lösen Verärgerung aus.
Es gibt Momente in der Politik, die bei vielen Akteuren ein Deja-vu-Erlebnis auslösen – und einen Adrenalinschub. Für viele FDP-Politiker zählen dazu die jüngsten Interview-Äußerungen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble zum Thema Steuersenkungen. „Ich rate uns allen, keine Debatten zu führen, die große Erwartungen wecken und hinterher zu großen Enttäuschungen führen“, sagte der CDU-Politiker der „Bild am Sonntag“. Erst am 22. Mai hatte er demselben Medium aus einem vertraulichen Gespräch mit dem neuen FDP-Chef Philipp Rösler berichtet und den Eindruck erweckt, auch dieser sei nicht mehr für baldige Steuersenkungen.
Damals wie heute war die Verärgerung groß. Denn zwischen beiden Äußerungen lag eine Phase, in der Rösler das Thema Steuersenkungen wegen der sprudelnden Steuereinnahmen wieder offiziell auf die schwarz-gelbe Koalitions-Agenda gesetzt und sich führende Unionspolitiker vorsichtig zustimmend geäußert hatten. Deshalb ist man nun umso verärgerter bei der wegen schlechter Umfragewerte ohnehin nervösen FDP, die darin einen erneuten Querschusses des eigenwilligen und selbstbewussten Finanzministers witterte. Es sei völlig klar, dass die in die Kabinettsdisziplin eingebundenen Minister, „das, was die Bundeskanzlerin als Richtlinie vorgibt, dann umsetzen“, gab sich FDP-Generalsekretär Christian Lindner betont trotzig.
Tatsächlich wird über die Rolle des Finanzministers und einen vermeintlichen Alleingang in der schwarz-gelben Koalition nicht zum ersten Mal diskutiert. Für viele in der FDP-Fraktion gilt das Tischtuch zu Schäuble seit langem als zerschnitten. Der CDU-Politiker habe von Anfang der Koalition an gegen die Liberalen gearbeitet und sei als permanenter Bremser in Erscheinung getreten, hießt es von Abgeordneten wie aus der Parteispitze. Dabei geht es nicht nur um den Kurs, sondern auch um die Form des Umgangs.
Schäuble informiere nur unzureichend über seine Pläne und lasse sich nicht in die Karten schauen. „Wir rennen den Informationen genauso hinterher wie zu Oppositionszeiten“, kritisierte ein Liberaler. Einige Abgeordnete sehen es seit längerem als kapitalen Fehler an, dass die FDP in den Koalitionsverhandlungen nicht darauf bestanden habe, den Finanzminister zu stellen. Denn gegen den Minister lasse sich in der Finanzpolitik praktisch nichts durchsetzen.
Diese Einschätzung teilen auch viele in der Union: Dort hatte es vor allem in der Debatte um die Euro-Rettung mehrfach Unmut über Schäuble gegeben, dem unterstellt wird, stets mehr zu wollen, als der Rest der Bundesregierung in Brüssel an Zugeständnissen eingehen will. So bremste Merkel entschieden Schäubles Pläne, einen Europäischen Währungsfonds einzurichten - aber am Montag betonte sein Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen, dass der künftige Euro-Rettungsschirm ESM, den das Finanzministerium in Europa ausgehandelt hat, „sehr nahe an der Idee eines europäischen Währungsfonds“ komme.
Merkel stösst bei Schäuble an ihre Grenzen
In der CDU räumt man dabei ein, dass Merkels Richtlinienkompetenz als Kanzlerin bei Schäuble sehr an ihre Grenzen stößt. Schließlich könnten Kanzlerin und Finanzminister der größten europäischen Volkswirtschaft in einer kritischen Phase der Euro-Schuldenkrise nicht einen öffentlichen Streit austragen – was Schäuble auch genau wisse. Und schon in seiner Krankheitsphase im vergangenen Jahr habe sich gezeigt, dass Merkel ihren früheren innerparteilichen Kontrahenten nicht einfach entlassen könne, selbst wenn sie wolle. Der 68-jährige Schäuble selbst wiederum lasse durchblicken, dass er in seiner letzten Amtszeit nicht mehr allzu viele Kompromisse eingehen wolle – was vielleicht auch seine ungeduldige Haltung gegenüber den „jungen Wilden“ der FDP erklärt.
Zudem ist die Debattenlage in Union und FDP ohnehin viel komplizierter als eine Konstellation „Schäuble gegen die Koalition“. Am Montag betonten gleich vier Ministerpräsidenten der CDU, dass sie wenig von Steuersenkungen zum jetzigen Zeitpunkt halten. „In guten Zeiten werden die Haushalte versaut“, merkte etwas der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) lakonisch an. Und in der Unions-Fraktion hatte sich der Finanzminister jüngst erheblichen Rückhalt in seiner Euro-Politik gesichert, weil er am härtesten von allen für eine Beteiligung des privaten Sektors an der Lösung der Griechenland-Krise eingetreten war.
Zudem wird in Koalitionskreisen bekräftigt, dass man sich über die entscheidenden Punkte beim Thema Steuern doch längst einig sei – inklusive Schäuble. Auch dieser habe intern klar gemacht, dass er Steuerentlastungen von fünf bis sechs Milliarden Euro sehr wohl mittrage. Das jüngste Interview müsse man eher als Reflex auf die ausufernden Steuer-Träume der Liberalen verstehen, wo vor allem FDP-Generalsekretär Lindner ein Entlastungsvolumen in zweistelliger Milliardenhöhe angedeutet hatte. Ein Finanzminister müsse einfach dagegen halten.