Die Debatte über Schwarz-Grün im Bund ist neu entbrannt. Auch die FDP streckt jetzt ihre Fühler in andere Richtungen aus – und wirbt um die SPD.
Berlin. Es war Mitte der Neunzigerjahre bei einem Italiener in Bonn, als ein paar junge Abgeordnete von CDU und Grünen einen Tabubruch begingen. Regelmäßig kamen sie im Keller des Sassella zusammen, einem beliebten Treff der Politprominenz im damaligen Regierungssitz. Helmut Kohl (CDU) stand als Bundeskanzler einer schwarz-gelben Koalition vor. Und die Grünen trugen den Stempel als Ökos von Linksaußen.
Trotzdem, so fanden jene jungen Politiker, könne man sich ja bei gutem Essen zusammensetzen. Der heutige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) war dabei, Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) oder der Grünen-Chef Cem Özdemir. Die Kellertreffs der legendären "Pizza-Connection" gelten als Geburtsstunde der schwarz-grünen Idee. Noch heute schwärmen die Mitglieder von jenen magischen Momenten aus alten Bonner Zeiten.
Dennoch war vor 15 Jahren quasi unmöglich, was heute realistische Perspektive ist: eine Koalition von Union und Grünen auf Bundesebene. Zwar stehen erst 2013 die nächsten Wahlen an, jedoch wird bereits seit einiger Zeit über ein solches Bündnis spekuliert - vor allem seit sich die schwarz-gelbe Bundesregierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zunehmend freudlos und zerstritten präsentiert. Hinzu kommen die Wahlerfolge der Grünen, die der Partei ein neues Selbstbewusstsein verliehen haben. Winfried Kretschmann, der neue grüne Ministerpräsident im konservativen Stammland Baden-Württemberg ging jetzt erneut in die Offensive: Mit der Rücknahme der Laufzeitverlängerung und der Kehrtwende in der Energiepolitik habe die Kanzlerin bislang unüberbrückbare Gräben "eingeebnet", sagte er dem "Tagesspiegel". Eine Option für 2013 sei dadurch aber nicht zwingend.
Mit dem gleichen Prinzip reagiert die andere Seite: Auf keinen Fall ein klares Dementi. Lieber wird die Debatte abgewiegelt und aufgeschoben. "Koalitionsgedankenspielchen sind derzeit so unnütz wie ein Kropf", sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe - ebenfalls Mitglied der "Pizza-Connection" - der "Frankfurter Rundschau". Unionsfraktionschef Volker Kauder ist ebenfalls skeptisch. Auch wenn mit dem Atomausstieg eine große Trennungslinie weg sei, trenne Grüne und Union mehr als sie verbinde.
Für Oskar Niedermayer, Parteienforscher der FU Berlin, ist die Sachlage klar: "Die Hürde für schwarz-grüne Bündnisse auf Bundesebene ist mit der Energiewende der Union deutlich gesunken. Für beide Seiten ist eine Koalition im Bund bereits 2013 nicht auszuschließen - auch wenn es sich dabei nicht um eine Liebesheirat handeln würde", sagte er dem Abendblatt. Warum man bei der Union nicht offen darüber redet? "Noch eine kurzfristige 180-Grad-Wende wäre für die eigenen Wähler nur schwer zu verdauen."
Im Thomas-Dehler-Haus, der Parteizentrale der FDP, hat man die Annäherungsversuche zwischen dem Koalitionspartner und den Grünen längst registriert. Vergessen ist der CDU-Parteitag im November, als Merkel Schwarz-Grün als "Hirngespinst" bezeichnete. Als 14 Tage später das Bündnis in Hamburg zerbrach und die FDP wieder als natürlicher Partner der Union gelten konnte. Doch dann kam jene Parteikrise, die Guido Westerwelle das Amt des Vorsitzenden und die Liberalen das Vertrauen ihrer Wähler kostete.
Jetzt, da das neue FDP-Führungsteam die Arbeit aufgenommen hat, stören die neuen Debatten. Obwohl Merkel erst kürzlich Wunsch und Willen nach einer Fortführung der schwarz-gelben Koalition bekräftigte, traut man dem Braten nicht. Und streckt deshalb selbst die Fühler aus. In Richtung SPD: "Die sozialliberalen Koalitionen, die es im Bund bereits gegeben hat, haben erfolgreich zusammengearbeitet. Dass es auch in Zukunft wieder ein Bündnis aus SPD und FDP auf Bundesebene geben kann, sollte man auf keinen Fall ausschließen", sagte Hamburgs FDP-Fraktionschefin Katja Suding dem Abendblatt. Zwar habe man nach wie vor mit der CDU die größten programmatischen Übereinstimmungen, allerdings funktioniere die Zusammenarbeit in Berlin nicht immer optimal.
Abgesehen von Umfragewerten, die derzeit nicht für Rot-Gelb reichen würden, gäbe es für beide Parteien aber durchaus Anknüpfungspunkte. In der Bildungspolitik wollen SPD und FDP das sogenannte Kooperationsverbot kippen, dass das Eingreifen des Bundes in Schul- und Hochschulfragen teilweise unmöglich macht. Zudem feilen die Liberalen gerade an einem neuen Grundsatzprogramm, in dem vor allem der gesellschaftspolitische Bereich ausgebaut werden soll. "Die Betonung der Bürgerrechte, aber auch die Neukonzeption ökonomischer Positionen spielt hier eine große Rolle", sagt Parteienforscher Niedermayer. "Der sogenannte mitfühlende Liberalismus von Generalsekretär Christian Lindner und anderen an der FDP-Spitze könnte neue Türen zu den Sozialdemokraten öffnen."
Für Suding hat sich bereits im Hamburger Wahlkampf gezeigt, dass FDP und SPD grundsätzlich gut zusammenpassen. "Die Interessen der Wirtschaft im Auge behalten oder bei der Haushaltssanierung auf Ausgabenkürzung statt auf Einnahmeerhöhungen setzen - das sind Punkte, die mit den Sozialdemokraten machbar scheinen."