Der Wahlkampf in Rheinland-Pfalz wird rauer. Nach der Herausforderin Klöckner (CDU) schaltet auch Regierungschef Beck (SPD) auf Angriff.
Berlin. Es war am Mittwoch in der vergangenen Woche, als die Rheinland-Pfälzer ihren seit 16 Jahren regierenden Ministerpräsidenten ganz neu kennenlernten. Kurt Beck stand im Fernsehstudio, äußerlich ruhig und bedächtig wie immer, als ihm der verbale Kragen platzte. "Es reicht nun langsam, das ist eine Frechheit", fauchte er seine Kontrahentin in der Live-Sendung an. Er warf ihr "Diffamierung" und "Böswilligkeit" vor, irgendwann raunzte er ihr ein "Bitte nicht so flapsig" entgegen. Kurt Beck, der Harmoniebedürftige, musste in diesen Minuten des ersten TV-Duells in der Geschichte des Bundeslandes lernen, dass Wahlkampf auf Pfälzisch neuerdings ruppig und gnadenlos sein kann.
Der 62 Jahre alte Amtsinhaber mit SPD-Alleinregierung würde gern den Staatsmann geben in diesen Tagen vor der Landtagswahl am Sonntag, aber der dienstälteste Regierungschef der Republik tritt aggressiver und kämpferischer auf, als er ursprünglich wollte. Der Grund ist Julia Klöckner, 38 Jahre alt, Spitzenkandidatin der CDU, Vertraute von Bundeskanzlerin Angela Merkel und bekennende Helmut-Kohl-Verehrerin, Winzertochter und Weinkönigin von 1995. Sie greift den Mainzer Landesvater an, wo sie nur kann. Im Gespräch mit dem Abendblatt sagt sie: "Der Ministerpräsident spricht nur von Erfahrung, aber nicht von Visionen. Ich stehe für die Zukunft, Beck für die Vergangenheit." Beck könnte mit 24 Jahren Unterschied Klöckners Vater sein. Es sind nicht nur zwei Politiker-Generationen, die in diesem Wahlkampf aufeinanderprallen, es sind zwei völlig unterschiedliche Politikstile.
Beck spielt seine Erfahrung aus, hört auf seinen Instinkt - und macht Wahlkampf mit der Atom-Debatte. Als einer der Ersten in der SPD forderte er die Rückkehr zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss und bot zugleich einen Pakt aller Parteien mit der Wirtschaft an, um gemeinsam über die Zukunft der Atomenergie in Deutschland zu entscheiden. Die bundesweite Aufmerksamkeit war ihm dafür sicher. Da spielte es auch keine Rolle, dass das einzige in Rheinland-Pfalz stehende Atomkraftwerk Mühlheim-Kärlich längst vom Netz und das Land atomfrei ist.
Erst gestern legte Beck nach: "So, wie sie sich derzeit verhält, wird die Kanzlerin ihrer Verantwortung für die Zukunft Deutschlands nicht gerecht", ließ er mitteilen. Die Wähler sollen wissen, wo der Ex-SPD-Vorsitzende sich sieht - auf Augenhöhe mit Merkel.
Klöckner, die bis Mitte Februar noch parlamentarische Staatssekretärin im Verbraucherministerium war und "bewusst" den Wechsel in die Landespolitik gewählt hat, muss sich auf anderen Feldern beweisen. Sie setzt rigoros auf regionale Angelegenheiten und ist überzeugt: "Die Rheinland-Pfälzer blicken auf landespolitische Themen." Das Thema Rekord-Unterrichtsausfall beschäftige die Menschen am meisten, meint sie. "Wir haben eine Rekordverschuldung, und bei Becks Prestige-Projekten herrscht Vetternwirtschaft und Filz." Becks Atom-Wahlkampf hält sie für wirkungslos: "Die Landtagswahl ist keine Abstimmung über den Atomausstieg. Nach den Erfahrungen von Japan musste die Bundesregierung handeln - Wahlen hin oder her. Je schneller wir den Ausstieg aus der Kernenergie schaffen, desto besser." Klöckner lässt erahnen, wie sehr sie die Atomdebatte zu nerven beginnt. "Manche sollten sich überlegen, wie glaubhaft es ist, gegen alles zu demonstrieren. Es macht wenig Sinn, gleichzeitig gegen Infrastrukturmaßnahmen, Kernkraft, Windparks und Speicherkraftwerke auf die Straße zu gehen", schimpft sie.
SPD und CDU sind nervös vor der Wahl. Dabei scheint der Ausgang viel klarer als in Baden-Württemberg. Zwischen 36 und 37 Prozent lagen die Sozialdemokraten zuletzt, die CDU zwischen 34 und 36 Prozent. Immerhin eine Umfrage sieht beide Parteien gleichauf. So eng es auch zugehen mag zwischen SPD und CDU - beide können nicht ohne Partner regieren. Weil die FDP mit der Fünf-Prozent-Hürde ringt, wird sie Klöckner kaum ins Regierungsamt verhelfen können. Bleiben die Grünen: Die Reaktorkatastrophe in Japan nützt der Partei offenbar. Sie liegt derzeit bei 13 bis 14 Prozent. Aber die Grünen haben sich entschieden: "Die größeren Schnittmengen sehen wir mit der SPD, daher streben wir nach dem 27. März ein Bündnis mit den Sozialdemokraten an", teilten die beiden Parteichefs und Spitzenkandidaten Eveline Lemke und Daniel Köbler kürzlich mit.
Die CDU steht damit ziemlich eindeutig ohne Machtperspektive da. Aber Klöckner will weiter hoffen. Wenn die CDU noch stärkste Kraft wird, dann könnte sie wenigstens zu Sondierungsgesprächen einladen. Sie sagt: "Wir sind auf Augenhöhe. 2006 lagen SPD und CDU 13 Prozent auseinander. Es hat sich also viel verändert. Das ist ein gutes Zeichen." Eine Koalitionsaussage ist ihr dennoch nicht zu entlocken. Aber sie weiß, dass Beck als langjähriger Freund der FDP mit den Grünen wenig anfangen kann und sich auf härtere Regierungsjahre einstellen müsste. Aber Beck will noch mindestens fünf Jahre in Mainz amtieren. Für so ein Vorhaben bringt man schon mal ein Opfer.