Bahnvorstand Kefer wirbt für das Megaprojekt. Gegner Palmer listet Fehler und Versäumnisse auf. Schlichter Geißler: „Wir wollen keine Predigten.“
Stuttgart/Hamburg. Nach den Protesten, den Ausschreitungen und Polizeieinsätzen geht es bei der Schlichtung im Streit um das Bahnprojekt Stuttgart 21 relativ gesittet zu. Doch die Befürworter und Gegner liefern sich am Freitagmorgen mit Argumenten einen heftigen Schlagabtausch – und Schlichter Heiner Geißler (80) macht einen guten Job. Der erfahrene Schlichter sagte zu Beginn: „Wir wollen hier keine Predigten hören und keine Glaubensbekenntnisse.“ Geißler sagte: „Wir können keinen neuen Bahnhof erfinden. Wir können Stuttgart nicht zu einer ebenen Stadt machen.“ Und er bekräftigte: „Wir machen einen Faktencheck, wir werden alle Fakten auf den Tisch legen.“
Im Stuttgarter Rathaus sagt der Vorstand der Deutschen Bahn, Volker Kefer, ein Durchgangsbahnhof habe wichtige Vorteile gegenüber einem Kopfbahnhof, wie ihn Stuttgart derzeit hat. Die Kapazität könne um mehr als 200 Züge pro Tag erhöht werden – bei „gleichzeitiger Halbierung“ der Gleiszahl. Man setze durch den „Lückenschluss im Südwesten“ auf einen Zuwachs von zwei Millionen Reisenden pro Jahr, die von der Straße auf die Schiene wechseln. Dies bedeute auch eine „erhebliche Entlastung der Umwelt“.
Kefer sagte: „Wir haben keine Einzelstrecken mehr, wir haben ein Netz. Der Wettbewerber ist nicht mehr die Postkutsche, sondern das Flugzeug und das Auto.“ Kefer sagte, es gebe immer weniger Kopfbahnhöfe, er vergaß aber die Großbahnhöfe in Frankfurt/Main und München. Kefer sagte zum Zeitgewinn auf der Neubaustrecke: „Es geht nicht nur um eine halbe Stunde, sondern dass wir dadurch enorme Zugewinne an Fahrgastzahlen bekommen.“
Für die Gegner sprach der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer. Er sagte zu Kefer: „Wenn ihre Prämissen wahr wären, kann auch nur so ein Projekt herauskommen. Schon der bestehende Kopfbahnhof ist leistungsfähiger als Stuttgart 21. Nur die clevere Verknüpfung des Vergrabens des Bahnhofs mit der Neubaustrecke erlaubt ihnen, die Vorteile herauszustreichen.“ Palmer richtete auch an Geißler besonnene Worte: „Herr Geißler, rügen Sie mich, wenn ich zu polemisch werde.“
Und dann verglich er verschiedene Neubauprojekte und listete die Fehler der Politik und der Bahn auf. Wegen der geplanten Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin habe man jahrelang nichts an der bestehenden Bahnverbindung gemacht und dann plötzlich in großem Tempo eine schnelle Verbindung gebaut. „Eine Alternativplanung ist schneller fertig, als sie das darstellen“, sagte Palmer. „Stuttgart 21 schwächt den Schienenverkehr.“ Das größte Problem auf den deutschen Autobahnen sei der Güterverkehr, der auf die Schiene gehöre. Und deshalb müsse man die Bahn im Rheintal nach Basel vierspurig ausbauen.
„Dazu hat sich Deutschland vertraglich verpflichtet“, so Palmer. Bei Stuttgart 21 sei man zu nichts verpflichtet. „Anders, als die Bundeskanzlerin dargestellt hat.“ Beim Durchbruch im Gotthard-Tunnel sehe man: „Die Schweiz durchquert die Alpen, wir schaffen es nicht, in der Ebene auf vier Spuren zu kommen.“
Es ist schon eine historische Dimension, dass eine Schlichtung öffentlich ausgetragen wird . Die Übertragung aus dem Stuttgarter Rathaus (live im TV-Sender Phoenix, im SWR sowie im Internet) soll Transparenz bei dem Megaprojekt schaffen. Das soll auch Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) nutzen, der vor schwierigen Landtagswahlen im Frühjahr 2011 steht.