Patienten würden kränker gemacht, als sie sind. Grund dafür sind höhere Summen aus dem Gesundheitsfonds. Droht ein Kassen-Skandal?
Hamburg. Die neuen Abrechnungsmöglichkeiten durch den Gesundheitsfonds haben nach einem ARD-Bericht die Zahl der bei den Kassen erfassten chronisch Kranken deutlich steigen lassen. Die Zahl habe sich zwischen 2007 und 2008 um 4,6 Prozent erhöht, ergaben Recherchen für die Sendung „Panorama“, die an diesem Donnerstag ausgestrahlt werden sollte. Dieser Anstieg sei medizinisch kaum erklärbar, sondern hänge mit dem neuen Abrechnungssystem zusammen. Das würde bedeuten, dass die Kassen bei der Codierung von Kranken tricksen.
Zwischen 2007 und 2008 wurde ein neuer Geldzuteilungsmechanismus für die Kassen eingeführt, der mehr Geld für chronisch kranke Patienten vorsieht. Entsprechend diesem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) bekommen diejenigen Kassen mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds, bei deren Versicherten besonders häufig bestimmte Krankheiten diagnostiziert werden. Laut „Panorama“ werden zurzeit allein für diese Krankheiten im Gesundheitsfonds 86 Milliarden Euro an die gesetzlichen Kassen verteilt.
Das ARD-Magazin berief sich auf Dokumente des Bundesversicherungsamts. Demnach betrug bei 23 Krankheitsgruppen der Anstieg mehr als zehn Prozent. So verzeichnete die Behörde dem Bericht zufolge etwa beim Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom ADS einen Anstieg um 14 Prozent (43.000 Patienten), bei Erkrankungen der Speiseröhre um 16 Prozent (141.000 Patienten) und bei einer Diabetesart sogar 17 Prozent (30.000 Patienten).
Die Steigerungen seien nur darauf zurückzuführen, dass die Kassen mehr Patienten als chronisch krank registrierten, „und nicht darauf, dass hier wirklich die Krankheitsfälle angestiegen sind“, sagte der Bremer Gesundheitsökonom Gerd Glaeske der Sendung. „Es werden Menschen durch die Diagnosen kränker gemacht, als sie es eigentlich sind.“
Das Bundesgesundheitsministerium sieht laut „Panorama“ keinen Zusammenhang zwischen dem Krankheitsanstieg und der Einführung der neuen Abrechnungsgrundlage . Das Ministerium führe den Anstieg vor allem auf die bessere Dokumentierung von Krankheiten durch die Ärzte zurück.