Minister Röttgen distanziert sich vom Vertrag mit Energiekonzernen. Lammert sieht “verfassungsrechtliches Risiko“.
Berlin. Es war Norbert Röttgen , der in der Debatte um die Verlängerung der AKW-Laufzeiten gestern eine politische Bombe platzen ließ. Der CDU-Umweltminister, immerhin federführender Minister für Atomfragen, erklärte auf einer Sondersitzung des Umweltausschusses, gar nicht an der Erstellung des Vertrags der Bundesregierung mit den Energiekonzernen beteiligt worden zu sein.
"Ich habe an dem Vertrag nicht mitgewirkt, und es hat auch kein Vertreter des Umweltministeriums teilgenommen", sagte Röttgen nach Angaben von Teilnehmern. Im Vorfeld der Entscheidung hatte sich Röttgen für eine möglichst geringe Laufzeitverlängerung und gegen jeglichen "Deal" mit den Energiekonzernen ausgesprochen - dass er bei dem umstrittenen Beschluss, die Atomkraftwerke im Schnitt zwölf Jahre länger am Netz zu halten, übergangen wurde, schien deshalb schon vor diesem Eingeständnis offensichtlich. Röttgens Sprecherin erklärte lediglich, in dem Vertrag werde nur die Abschöpfung der Gewinne geregelt, und das sei Sache des Bundesfinanzministeriums.
Röttgen bestätigte gestern übrigens noch, dass sich die Bundesregierung in der umstrittenen Frage, ob längere AKW-Laufzeiten ohne Zustimmung des Bundesrats beschlossen werden können, auf entsprechende mündliche Stellungnahmen von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) stützt. Diese Vorgehensweise bewerteten die Grünen als "höchst zweifelhaft". Und nicht nur die Grünen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) legt der Koalition die Einbindung des Bundesrats nahe, die die Regierung unbedingt vermeiden will, da sie in der Länderkammer keine Mehrheit mehr hat. Ein Alleingang berge ein "beachtliches verfassungsrechtliches Risiko ", sagte Lammert in Berlin. Union und FDP würden damit auch auf die Chance verzichten, das Energiekonzept auf die breite Basis zu stellen, die der lange Geltungszeitraum bis 2050 erfordere.
Tatsächlich sind mehrere Verfassungsrechtler der Ansicht, dass das Laufzeit-Plus nur mit der Länderkammer beschlossen werden kann. Zu ihnen gehört auch Hans-Jürgen Papier. In einem noch unveröffentlichten Aufsatz für die "Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht", der dem Hamburger Abendblatt vorliegt, schreibt der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, die Zustimmung des Bundesrats sei "eine zwingende und angesichts der föderalen Grundstruktur des Grundgesetzes sich geradezu aufdrängende Folge" des Bund-Länder-Prinzips. Das von den Befürwortern längerer Laufzeiten häufig vorgetragene Argument, der unter Rot-Grün beschlossene Ausstieg aus der Kernkraft sei auch ohne Beteiligung des Bundesrats zustande gekommen, lässt Papier nicht gelten: Nur weil mit Blick auf die damalige Änderung des Atomgesetzes eine Zustimmungsbedürftigkeit nicht reklamiert worden sei, könne eine "irgendwie geartete Schlussfolgerung im Hinblick auf die jetzt aktuelle Verfassungsrechtsfrage nicht gezogen werden".
Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin warf Röttgen vor: "Nie darf ein Umweltminister so tief sinken, dass er den Kakao auch noch lustig schlabbert, durch den Herr Brüderle ihn zieht - das machen Sie gerade." Tatsächlich gilt der Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) als derjenige, der sich im Atomkompromiss gegen Röttgen durchgesetzt hat.
"Norbert Lammerts Veto und das Eingeständnis des für die Atomaufsicht zuständigen Ministers, in die Verhandlungen mit den Energiekonzernen gar nicht eingebunden gewesen zu sein, geben einen tiefen Einblick in den Zustand dieser Regierung", konstatierte Hessens SPD-Landes- und Fraktionschef Thorsten Schäfer-Gümbel. "Es ist ein ungeheuerlicher Vorgang, dass Konzerne in Telefonschaltkonferenzen mit dem Kanzleramt Gesetzestexte aushandeln. Das grenzt an Verhältnisse, die man nur aus Bananenrepubliken kennt und die man sich in Deutschland bisher nicht vorstellen konnte", sagte Schäfer-Gümbel dem Abendblatt.
Der niedersächsische SPD-Landesvorsitzende Olaf Lies reagierte ebenfalls scharf. Der Versuch, die Länder außen vor zu halten, sei "verfassungsrechtlich auf Sand gebaut", sagte Lies dem Abendblatt: "Dass das schwarz-gelbe Klientelgeschenk an die Atomlobby am zuständigen Bundesumweltminister vorbei verhandelt wurde, erklärt die straffe Deckelung bei den notwendigen Nachrüstungen der Atomkraftwerke."