Die Bundeswehrreform stößt in den nördlichen Bundesländern auf Skepsis. Die Angst vor Standortschließungen geht um.
Hamburg. Spitzenpolitiker aus Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen haben massive Bedenken gegen einen radikalen Truppenabbau und Standortschließungen geäußert. Auch gegen die Aussetzung der Wehrpflicht, wie sie Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) in seiner Wehrreform plant, gibt es in den norddeutschen Bundesländern deutliche Vorbehalte.
Am Montag war das CDU-Präsidium bei einer Klausurtagung einmütig auf den Kurs Guttenbergs eingeschwenkt, der eine Truppenreduzierung und die Umstellung auf eine Freiwilligenarmee vorgeschlagen hatte. Falls sich die Parteitage von CDU und CSU im Herbst anschließen, kann die Wehrpflicht damit schon zum 1. Juli 2011 ausgesetzt werden. Entfallen soll auch die Musterung junger Männer. Wehrpflichtige sollen aber weiterhin registriert werden.
Die Bundesländer stellen sich nun auf Kasernenschließungen ein. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) sagte dem Hamburger Abendblatt: "Es ist klar, dass diese Entscheidung Standortschließungen nach sich ziehen wird." Als Ministerpräsident wolle er, dass möglichst viele Standorte in Mecklenburg-Vorpommern erhalten blieben, sagte Sellering: "Jeder Einzelne ist wichtig für das Land und stärkt die Wirtschaftskraft vor Ort." Deshalb habe er seinen Innenminister schon vor einigen Wochen beauftragt, Gespräche mit dem Verteidigungsministerium zu führen. Die beabsichtigte Aussetzung der Wehrpflicht sei eine "Fehlentscheidung", kritisierte Sellering. "Die Wehrpflicht hat entscheidend dazu beigetragen, dass die Bundeswehr fest in unserer Gesellschaft verankert ist. Und ich sehe mit großer Sorge, dass die Bundeswehr stärker auf Kriegseinsätze wie in Afghanistan ausgerichtet wird."
Auch der Vorsitzende der CDU-Fraktion im niedersächsischen Landtag, Björn Thümler, warnte im Abendblatt Guttenberg davor, überproportional stark die Streitkräfte in Niedersachsen zu reduzieren. Bei einer massiven Kürzung bestehe im Notfall Gefahr für den Küstenschutz. "Wir könnten dann nicht mehr auf Soldaten zurückgreifen, sondern müssten uns in erster Linie auf freiwilliges Personal stützen." Sollte es wider Erwarten doch zu massiven Standortschließungen kommen, müsse es eine Kompensation geben, forderte Thümler. "Da muss der Bund die Schatulle schon etwas weiter öffnen. Denkbar wäre, dass der Bund die Sanierung und Umwandlung der Liegenschaften für die zivile Nutzung übernimmt oder in die Finanzierung einer Hochschule einsteigt." Viele Standorte würden sich gut dazu eignen, um dort Forschung zu betreiben. "Man müsste dann auch darüber nachdenken, einige Bundesämter nach Niedersachsen zu verlegen", forderte Thümler.
Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister hatte sich zunächst für den Erhalt der Wehrpflicht ausgesprochen, aber in der Präsidiumssitzung seinen Widerstand gegen die Reform relativiert. Laut CDU-Politiker Thümler gibt es an der Parteibasis noch erhebliche Vorbehalte gegen die Abschaffung der Wehrpflicht. "Ich gehe aber davon aus, dass die Bundeswehrreform vom Bundesparteitag Mitte November mitgetragen wird. Dazu müssen die Kabinettsbeschlüsse aber auch ausreichend kommuniziert werden."
Der schleswig-holsteinische CDU-Fraktionschef und designierte CDU-Landeschef, Christian von Boetticher, forderte ebenfalls eine breite Debatte über die Aussetzung der Wehrpflicht, "denn über diese Pläne gibt es erheblichen Diskussionsbedarf - auch bei mir ganz persönlich", sagte von Boetticher dem Abendblatt. Bei der Wehrpflicht gehe es nicht nur um Sicherheitspolitik, sie sei auch ein wichtiges Element wehrhafter Demokratie. Standortschließungen bezeichnete er als "echte Katastrophe", gegen die man aber in jedem Fall ankämpfen werde, zumal Schleswig-Holstein bereits stark unter den letzten Kürzungswellen gelitten habe. Die Bundeswehrreform biete jedoch auch Chancen: "Wenn die Bundeswehr auf Freiwillige setzt, bekommt die Attraktivität der Standorte eine völlig neue Bedeutung. Da hat Schleswig-Holstein einiges zu bieten, mit dem wir das Ministerium bis Mitte nächsten Jahres überzeugen wollen." Klar sei aber, dass regionale Aspekte nicht allein über die Reform entscheiden dürften: "Vor Leben und Gesundheit unserer Soldaten müssen regionale Interessen zurückstehen."