Der entscheidende Faktor in den Verhandlungen mit den Konzernen ist, wie die Jahreszahlen in Strommengen umgerechnet werden.
Berlin. 4, 8, 10, 12, 20, 28 – seit Wochen tobt in der Öffentlichkeit der Streit, um wie viele Jahre die schwarz-gelbe Bundesregierung die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängern darf, kann und möchte. Nun werden erste Festlegungen bejubelt oder kritisiert, weil Bundeskanzlerin Angela Merkel und FDP-Chef Guido Westerwelle am Wochenende erwähnten, dass die bestellten Gutachten mit Energie-Szenarien einen wünschenswerten Korridor von zehn bis 15 Jahren Verlängerung nannten.
Der Streit um die Jahreszahlen ist zwar als politisches Richtungssignal wichtig. Aber in Wahrheit verschleiert er nur, dass es sich dabei letztlich nur um einen Kampf für die Kulisse handelt. In Wahrheit sagt die bloße Jahreszahl nicht viel darüber aus, wie lange Kernkraftwerke in Deutschland noch Strom produzieren dürfen. Der Grund ist, dass gesetzliche und vertragliche Vereinbarungen vielmehr über die Reststrommengen getroffen werden, nicht über die Jahre.
Schon der rot-grüne Ausstiegsbeschluss zur Atomenergie lässt letztlich offen, wann genau der letzte Atommeiler in Deutschland abgeschaltet wird. Weil die Ausstiegsvereinbarung die Obergrenzen für Restmengen an Stromproduktion in Terrawattstunden festlegt, ist dies tatsächlich variabel. Auch Störfälle und damit verbundene Produktionsausfälle haben den Effekt, dass sich das Ende der Nutzung von Kernkraft nach hinten verschiebt. Experten rechnen damit, dass auch nach dem rot-grünen Ausstiegs-Beschluss das eigentlich anvisierte Enddatum längst von etwa 2020 bis 2022 mittlerweile etwa auf das Jahr 2025 nach hinten gerutscht sein dürfte. Würden die Energieversorger alle Atomkraftwerke bis auf ein einziges abschalten und die Strommengen übertragen, könnte dieses theoretisch sogar bis weit nach 2050 Strom produzieren.
Auch die schwarz-gelbe Regierung plant, im Gesetz keine Jahreszahlen, sondern eine Reststrommenge festzulegen. Das lässt den Unternehmen auch in Zukunft die Freiheit, Strommengen zwischen Atomkraftwerke neu zu verteilen – immer vorausgesetzt, dass die Meiler noch den Sicherheitsanforderungen entsprechen.
Dazu kommt, dass die Energiekonzerne wie E.ON und RWE ihre Kraftwerke mittlerweile ausdrücklich nicht als Alternative, sondern als künftige Ergänzung zu den erneuerbaren Energienträgern und deren schwankender Stromproduktion anpreisen. „Innerhalb von Minuten können wir die Leistung um bis zu 50 Prozent herunter- und wieder langsam hochfahren“, sagte ein RWE-Sprecher. Auch E.ON-Chef Johannes Teyssen hatte diese Flexibilität vergangene Woche am Rande des Besuchs von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Atomkraftwerk Emsland in Lingen betont. Damit wollen die Energiekonzerne die Zukunftsfähigkeit ihrer Kraftwerke betonen.
Doch für die Laufzeitendebatte hat gerade die Fähigkeit des Herunter- und Hochfahrens der Reaktoren enorme Auswirkungen. Wenn Atomkraftwerke in einigen Jahren tatsächlich nicht dauerhaft, sondern nur phasenweise etwa bei Windstille Strom produzieren sollten, würde sich dies massiv auswirken. Im Klartext: Selbst wenn die Regierung nun eine Verlängerung um beispielsweise zehn Kalender-Jahre beschließen sollte, könnte dies am Ende bedeuten, dass dies de facto mehr als 15 Mengen-Jahre bedeutet – oder aber nur sieben.
Die entscheidende Stellgröße in den Verhandlungen mit den Konzernen ist, wie die Jahreszahlen in Strommengen umgerechnet werden. Bisher war die Umrechnungsformel unstrittig. Angesichts der sich verändernden Arbeitsweise der AKW müsste die Regierung aber künftig einen sehr viel niedrigeren Wert ansetzen, weil die Kraftwerke eben möglicherweise nur einen Teil des Jahres laufen werden. Deshalb finden in Wahrheit zwei Debatten parallel statt - eine für die Kulisse, die Politik und die Medien, die für die Schlagzeilen eine klare Jahreszahl suchen; und eine für die Unternehmen, wie diese Schlagzeilen-Zahlen in die „echte“ Werte umgesetzt werden.