Brüderle sieht größten Nutzen bei zwölf bis 20 Jahren, Röttgen und Ökobranche warnen vor langen Laufzeiten. Merkel legt sich nicht fest.
Berlin. Der Streit über die Laufzeiten der Atomkraftwerke dauert auch nach Vorlage eines lange erwarteten Energiegutachtens weiter an. In einem gemeinsamen Auftritt gaben Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) und Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) am Montag unterschiedliche Einschätzungen zu dem Gutachten ab. Während Brüderle sagte, eine verlängerte Laufzeit von zwölf bis 20 Jahren brächte den größten Nutzen, relativierte Röttgen die Bedeutung der Laufzeitverlängerungen.
Ein Regierungssprecher betonte unterdessen, Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich nicht auf einen Korridor von zehn bis 15 Jahren festgelegt. Merkel hatte am Sonntag gesagt, das Gutachten halte diesen Verlängerungszeitraum zwar für fachlich vernünftig. Sie müsse aber als Regierungschefin auch Kriterien wie Sicherheitsanforderungen und eine rechtlich sichere Umsetzung des Beschlusses beachten.
„Insgesamt ist der größte volkswirtschaftliche Nutzen nach Aussagen der Gutachter bei einer Laufzeitverlängerung zwischen zwölf und 20 Jahren festzustellen“, sagte Brüderle bei der Vorstellung der Energieszenarien in Berlin. Das Gutachten habe ergeben, dass eine Verlängerung um diesen Zeitraum auch die größeren Einsparungen bei den Treibhausgasen und einen erheblich niedrigen Strompreis garantierten.
Röttgen betonte dagegen, das Gutachten mache keine Aussagen zu den volkswirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Analysen. Vielmehr zeige die Berechnung der Szenarien über eine angenommene Verlängerung der Laufzeiten von vier, zwölf, 20 und 28 Jahren, dass die Unterschiede auf Strompreis, Versorgungssicherheit und das Erreichen der Klimaschutzziele langfristig minimal seien. Die wichtigste gemeinsame Botschaft sei: „Alle relevanten Ziele, die wir uns gesetzt haben.....sind machbar.“
Indirekt warnte Röttgen, die Kernkraftwerke noch sehr lange laufen zu lassen. „Laufzeiten nehmen auch den Druck auf die Modernisierung.“ Auch die angestrebten Effizienzgewinne fielen dann niedriger aus. Die Ökostrombranche fürchtet bei längeren Laufzeiten ebenfalls einen herben Rückschlag. „Wir fürchten, dass der Ausbau der Erneuerbaren Energien gebremst und Investitionen in Frage gestellt werden“, sagte Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbandes Solarwirtschaft, im Reuters-Interview. Dietmar Schütz, Präsident des Bundesverbandes Erneuerbare Energien (BEE), nannte eine Laufzeitverlängerung als Gift für die Branche. Bliebe es beim Atomausstieg, könnten einem Prognos-Gutachten im Auftrag des BEE zufolge allein im Ökostromsektor bis 2020 160 Milliarden Euro investiert werden.
Harsche Kritik erntete Röttgen dagegen von Parteifreunden. „Das Energiegutachten ist eindeutig: Laufzeitverlängerung spart Kosten und reduziert Co2“, sagte Fuchs der Zeitung „Die Welt„ (Dienstagausgabe). Auch CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich erinnerte den CDU-Umweltminister an seine Gesamtverantwortung. „Der Bundesumweltminister steht in einer Gesamtverantwortung auch ökonomisch, die über den engen Korridor seines Fachressorts hinausgeht“, sagte Friedrich.
Unklar blieb weiter, welche Lasten die Energiekonzerne zusätzlich zu der geplanten Brennelementesteuer von 2,3 Milliarden Euro tragen müssen. Ein entscheidender Punkt wird dabei sein, welche Sicherheitsanforderungen die Firmen erfüllen müssen. Dies wird Teil des Energiekonzepts sein, das die Regierung Ende September beschließen will. Das Umweltministerium erwägt, dass die Kraftwerke künftig gegen Flugzeugabstürze geschützt werden müssen. Auch dies kritisiert der CDU/CSU-Fraktionsvize Fuchs: „Zu diesem Zeitpunkt von abstürzenden Flugzeugen zu reden, ist überzogen. Wir sollten keine Panik erzeugen, sondern auf sachlicher Grundlage über Sicherheit diskutieren.“
SPD und Grüne attackierten die Bundesregierung erneut scharf. „Bei den von Wirtschaftsminister Brüderle und Herrn Röttgen vorgelegten Szenarien handelt es sich um den klassischen Fall, dass bei Gutachten nur das herauskommen kann, was man vorher vorgibt“, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin. Er sprach von einem Gefälligkeitsgutachten für die Stromkonzerne. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf der Kanzlerin vor, ihr sei mehr Geld für den Haushalt wichtiger als ein zukunftsfähiges Energiekonzept: „Die jetzige Debatte ist eine, die am Ende nur auf einen ziemlich schmutzigen Ablasshandel hinausläuft.“