Die geplanten längeren Laufzeiten von Atomkraftwerken sollen versteigert werden, wenn es nach Umweltminister Röttgen (CDU) ginge.
Hamburg/Berlin. Die geplante Verlängerung der Laufzeiten für die Atomkraftwerke will sich die Bundesregierung offenbar gut bezahlen lassen. Wie bei der milliardenschweren Auktion von UMTS-Mobilfunklizenzen sollen die Laufzeiten über den vereinbarten Ausstieg hinaus versteigert werden. Nach einem Modell des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI) würden die zusätzlichen Laufzeiten umgerechnet in Strommengen. Und diese Mengen würden dann unter den Hammer kommen.
Die großen Stromkonzerne Vattenfall, RWE, EnBW und E.on könnten kalkulieren, welche Summe ihnen längere Laufzeiten wert sind und mitbieten. Das RWI rechnete bereits hoch, dass eine Laufzeitverlängerung um acht Jahre bei einer Strommenge von 140 Terawattstunden etwa 56 Milliarden Euro wert wäre. Zum Vergleich: Die Auktion der UMTS-Lizenzen für den Mobilfunk brachte dem Staat im Jahr 2000 mehr als 50 Milliarden Euro ein.
Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sieht deshalb in einer Versteigerung einen "interessanten Vorschlag, der eine ernsthafte Prüfung verdient", wie er der "Financial Times Deutschland" sagte. Ende September will die Bundesregierung entscheiden, um wie viele Jahre sie die Laufzeiten der Kernkraftwerke verlängern will.
Im Gegenzug will der Staat einen Teil der Gewinne abschöpfen, die die Konzerne durch die geplanten längeren Laufzeiten machen. Das Geld soll in alternative Energien fließen. Die rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte sich im Jahr 2002 in einem Kompromiss mit den Konzernen darauf geeinigt, bis zum Jahr 2022 die Atomenergie vollständig aufzugeben. Die norddeutschen Meiler in Brunsbüttel (2012), Brokdorf und Krümmel (beide bis 2019) sollen vorher endgültig vom Netz.
Die SPD nannte die Idee einer Versteigerung "russisches Roulette". Generalsekretärin Andrea Nahles sagte: "Bei Atomlaufzeiten geht es um Sicherheit, nicht um das Staatssäckel. Nur ein akuter Sonnenstich kann erklären, was sich die Bundesregierung für Atomkraftwerke ausdenkt." Die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen, Bärbel Höhn, befürchtete eine "gefährliche Verquickung von Reaktorsicherheit und Haushaltspolitik". Ein Staat, der Atomlaufzeiten an den Meistbietenden versteigert, mache sich erpressbar. Bei jeder Sicherheitsauflage oder Nachrüstungsforderung stünde die Drohung der Atomkonzerne im Raum, den Versteigerungserlös zurückzufordern. Außerdem fürchten die Grünen, dass die vier großen Stromkonzerne sich absprechen und bei der Auktion als Bieterkartell auftreten. Das Deutsche Atomforum als Lobbyverband für die Kernkraft hält eine Versteigerung noch für einen "vagen Vorschlag", wie der Generalbevollmächtigte Dieter Marx dem Abendblatt sagte. Allerdings: "Wir als Branche haben immer signalisiert, dass wir bereit sind, bei der Laufzeitenverlängerung einen Beitrag zu zahlen."
Ob sich das auf die Strompreise auswirkt, ist fraglich. Die großen Stromkonzerne hielten sich bei dem heiklen Thema bedeckt. Ein Sprecher des Betreibers EnBW sagte allerdings dem Abendblatt: "Der Vorschlag über eine Versteigerung von Atomlaufzeiten stammt bereits vom Jahresanfang und hat damals sowohl rechtliche als auch wirtschaftliche Bedenken hervorgerufen. Die Diskussion wurde daraufhin eingestellt - und das mit gutem Grund."
Baden-Württembergs Umweltministerin Tanja Gönner (CDU) lehnt es ab, die Laufzeiten der Atomkraftwerke zu versteigern. "Ich halte den Vorschlag für unausgegoren", sagte sie den "Stuttgarter Nachrichten". Man könne die Laufzeitverlängerung nicht lösen wie die Versteigerung der UMTS-Lizenzen. "Da werden nicht Äpfel mit Birnen, sondern Äpfel mit Zwetschgen verglichen." Eine Versteigerung könnte dazu führen, "dass die Strompreise steigen".