Bundeskanzlerin Merkel will Initiative für Wachstum und Beschäftigung. SPD-Parteichef Gabriel befand, Merkels Politik sei “krachend gescheitert“.
Berlin. Kanzlerin Angela Merkel ändert den Kurs im Kampf gegen die Schuldenkrise: Die im europäischen Fiskalpakt besiegelten rigiden Sparvorgaben sollen schon im Frühsommer ergänzt werden – und zwar durch eine neue Initiative für Wachstum und Beschäftigung. Zugleich betont die CDU-Chefin aber, dass nicht wieder "Wachstum auf Pump“ angeregt werden darf und der Fiskalpakt an sich nicht aufgeschnürt wird. Die SPD wertete den Schwenk der Kanzlerin am Sonntag als Eingeständnis, mit ihrer bisherigen Sparpolitik "krachend gescheitert“ zu sein.
Der Fiskalpakt schreibt verbindliche Schuldenbremsen in allen 25 Teilnehmerstaaten vor – vorzugsweise mit Verfassungsrang. Zudem verhängt er automatisch Strafen, falls Staaten die Defizitregeln brechen. In Deutschland müssen Bundestag und Bundesrat dem Pakt jeweils mit Zweidrittelmehrheit zustimmen, daher will Merkel die SPD mit ins Boot holen. Die Forderung nach einem ergänzenden Wachstumspakt erheben die SPD und auch der aussichtsreiche französische Präsidentschaftskandidat Francois Hollande schon seit Wochen; zudem wollen sie eine stärkere Besteuerung der Finanzmärkte.
Merkel sagte der "Leipziger Volkszeitung“, für den EU-Gipfel im Juni sei eine "Wachstums-Agenda“ in Vorbereitung. Die Kanzlerin verwies zudem darauf, dass schon jetzt Gelder aus den Strukturfonds flexibler ausgeschüttet werden können. Vorstellbar seien auch verstärkte Möglichkeiten der Europäischen Investitionsbank.
Nachverhandlungen über die europäische Schuldenbremse lehnte die Regierungschefin aber erneut ab. Ohne eine solide Finanzpolitik könne es keine Befreiung aus der Schuldenkrise geben. Auch neue staatliche Konjunkturprogramme würden Europa nicht helfen.
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Die SPD begrüßte, dass Merkel die Forderung nach Wachstumsimpulsen aufgreifen will, rügte aber ihre Zögerlichkeit. Parteichef Sigmar Gabriel sagte: "Angela Merkel bereitet den nächsten 180-Grad-Schwenk in der Euro-Politik vor. Er kommt spät, aber hoffentlich nicht zu spät.“ Gabriel kritisierte, dass Merkel seit zwei Jahren bei der Krisenbewältigung ausschließlich auf ein rigides Spardiktat in Europa setze. "Seit zwei Jahren weigert sie sich, etwas für das Wachstum zu tun und die Finanzmärkte an den Kosten der Krise zu beteiligen. Seit zwei Jahren sagen alle Experten: Diese Politik wird die Krise nicht lösen, sondern verschärfen“, rügte er. Gabriel befand, Merkels Politik sei "krachend gescheitert“. Das zeige aktuell die Entwicklung in Spanien, wo trotz schärfster Sparmaßnahmen keine Wende zum Besseren in Sicht kommt.
Der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann wies darauf hin, dass die für Ende Mai geplante Abstimmung im Bundestag über den Pakt nun nicht mehr zu schaffen sei. Erste Verhandlungen der Partei- und Fraktionschefs von Union, FDP, SPD und Grünen dazu hatte es Ende März gegeben.
Doch auch SPD-intern regt sich nun grundsätzlicher Widerstand: Die SPD-Linke lehnt den Fiskalpakt rundweg ab. "Nachbessern geht nicht“, sagte die Vorsitzende der Parteigruppierung Demokratische Linke (DL), Hilde Mattheis, dem "Tagesspiegel“ (Montagausgabe). Das ganze Vorhaben müsse neu verhandelt werden.
Der Vorsitzende der Grünen im Bundestag, Jürgen Trittin, erklärte: "Wir Grüne fordern ein europäisches Investitionsprogramm, finanziert über die Investitionsbank und einen europäischen Schuldentilgungspakt. Und wir wollen durch eine Finanztransaktionssteuer und eine Vermögensabgabe verhindern, dass die Kosten der Krise weiter auf die Schwächsten abgewälzt werden.“
Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Philipp Rösler richtete indes einen eindringlichen Sparappell an die EU-Regierungen. "Die Gefahr besteht, dass die Krise aufflackert. Deswegen appelliere ich dringend an unsere europäischen Partner, die angestoßenen Reformen konsequent fortzusetzen – so schmerzhaft sie für die Menschen auch unbestritten sind“, sagte der FDP-Vorsitzende der "Welt am Sonntag“.
Unterstützung bekommt die Bundesregierung von Euro-Gruppenchef Jean-Claude Juncker, der in der "Welt am Sonntag“ ankündigte, er werde mit Francois Hollande über dessen Wunsch reden, den Fiskalpakt wieder aufzuschnüren. "Die Vorstellung, dass man den Vertrag von Grund auf neu verhandelt und substanzielle Elemente aus dem Text herausnimmt, ist eine Wunschvorstellung.“