Italien, Spanien, Niederlande: Die Liste der gescheiterten Regierungen wird immer länger – In Brüssel schiebt man die Verantwortung weit von sich.

Brüssel. Nach Italien, Griechenland und Spanien wird der Sparkurs in der EU nun auch der niederländischen Regierung zum Verhängnis. Ministerpräsident Mark Rutte reichte am Montag seinen Rücktritt ein, nachdem sein rechtspopulistischer Koalitionspartner Geert Wilders neue Sparmaßnahmen abgelehnt hatte. Auch die Regierungen in Frankreich und in Tschechien haben große Mühe, ihre Bürger von neuen Sparmaßnahmen zu überzeugen. In Frankreich könnte Präsident Nicolas Sarkozy über seine Wirtschafts- und Finanzpolitik stolpern.

An den Märkten sorgen diese Probleme bereits für Nervosität – der Dax kam am Montag unter Druck, der Euro gab nach. Doch in der EU-Hauptstadt Brüssel tut man immer noch so, als sei nichts geschehen. Die EU-Kommission wollte sich nicht zum ersten Wahlgang in Frankreich äußern. Und zu den Niederlanden fiel dem Sprecher von Währungskommissar Olli Rehn nur ein, dass die Holländer einst selbst das Drei-Prozent-Kriterium für die Neuverschuldung erfanden, an dem die Regierung nun gescheitert ist.

Doch dieser sachlich völlig richtige Hinweis – der EU-Vertrag von Amsterdam legte 1997 die Grundlage für den Stabilitätspakt – geht am eigentlichen Problem vorbei. In immer mehr Euroländern schwindet das Vertrauen in die Sparpolitik, immer öfter machen sich Populisten wie Wilders die Unzufriedenheit zunutze. In Frankreich könnte die Führerin der rechtsextremen Front National, Marine Le Pen, zum Zünglein an der Waage werden und Präsident Sarkozy zu einem Rechtsschwenk verführen, warnt Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn.

Auch in Brüssel hat man diese Gefahr erkannt. Die EU-Staats- und Regierungschefs dürften der Versuchung der Populisten nicht folgen, forderte Kommissionspräsident José Manuel Barroso. Eine politische Mitverantwortung für die Probleme in Paris, Den Haag oder Prag lehnt Barroso jedoch ebenso ab wie einen Kurswechsel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Budgetkonsolidierung sei nun einmal eine nötige Vorbedingung für nachhaltiges Wachstum, heißt es in der Europäischen Kommission. Bei der Sparpolitik gehe es nicht darum, „Brüssel zu gefallen, sondern etwas Gutes für die Bürger zu tun.“

Doch die Bürger scheinen die Segnungen der EU-Politik immer weniger zu mögen. In Frankreich stimmte nur ein knappes Drittel der Wähler für Kandidaten, die den Brüsseler Sparkurs und den Berliner Fiskalpakt unterstützen. Die EU-Kommission muss dies nicht weiter stören – sie wird nicht direkt gewählt und muss auch kein Misstrauensvotum aus dem Europaparlament fürchten. Doch in den Hauptstädten vieler EU-Länder wird die Nervosität größer. Damit gerät nicht nur die Konsolidierung der Haushalte, sondern auch der bisherige Kurs zur Stabilisierung des Euro in Gefahr.

Sollten die Niederlande den Sparkurs verwerfen und den Stabilitätspakt brechen, müssen sie nicht nur einen Verlust der Top-Bonität „AAA“ und damit höhere Zinsen fürchten. Damit würde auch ein weiterer Stabilitätspfeiler des Euroraums ins Wanken geraten. Bisher galten die Niederlande aus Musterschüler und treuer Verbündeter Deutschlands. Wenn ausgerechnet in Den Haag die Stabilitätspolitik scheitert, wäre dies ein schwerer Schlag für Brüssel und Berlin. Die Bundesregierung könnte sich dann nur noch auf Finnland – das dritte „AAA“-Land der Eurozone – stützen.

Noch größere Auswirkungen hätte indes ein Machtwechsel in Paris. Denn der Favorit für den zweiten Wahlgang, der Sozialist Francois Hollande, hat schon angekündigt, den Fiskalpakt nachzuverhandeln und um ein Wachstumsprogramm ergänzen zu wollen. Bisher stand er damit ziemlich allein auf weiter Flur. Doch angesichts der Krise in anderen Euroländern gewinnen seine Ideen an Unterstützung. Sollte er sich durchsetzen, könnte dies die Märkte erschüttern und die Krise verschärfen. Scheitert Hollande jedoch trotz erfolgreicher Wahl, würde dies wohl das Vertrauen in die Demokratie auch in Frankreich erschüttern. Die Politik steht vor einem schier unlösbaren Dilemma.

(dapd/abendblatt.de)