Die Krise greift weiter um sich. Standard & Poor's stuft Kreditwürdigkeit Spaniens deutlich zurück und schürt so Unsicherheit.
Hamburg. Die Bedeutung des Wortes Europa lautet sinngemäß: Dort, wo die Sonne untergeht. Derzeit wachsen wieder verstärkt Sorgen, dass über der europäischen Idee samt der gemeinsamen Währung allmählich die Sonne untergehen könnte. Die Krise, die man mit Billionenaufwand unter Kontrolle bekommen wollte, greift weiter um sich. Dramatische politische Konsequenzen könnten die Folge sein.
Jetzt hat es die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone getroffen: Die US-Rating-Agentur Standard & Poor's senkte die Bonität Spaniens gleich um zwei Stufen herab - vom akzeptablen A auf das bedenkliche BBB+.
Hintergrund ist vor allem die hohe Staatsverschuldung. Spanien ist nach Griechenland und Irland inzwischen der drittgrößte Haushaltssünder im Euro-Raum. Zudem droht ein weiterer Einbruch der spanischen Wirtschaft um 1,5 Prozent. Im April schnellte die Arbeitslosenrate von 22,9 Prozent im März auf nunmehr 24,4 Prozent nach oben; 5,64 Millionen Spanier sind arbeitslos. Standard & Poor's ließ durchblicken, dass die Bonitätsnote Spaniens weiter abgesenkt werden könnte. Je niedriger diese Note aber ist, desto höhere Zinsen muss ein Land entrichten, wenn es neue Schulden machen will. Deutschland mit der Spitzennote AAA bekommt Geld geradezu aufgedrängt.
Es kursieren Gerüchte, wonach die spanische Regierung gezwungen sein könnte, den Banken noch stärker unter die Arme zu greifen - was die Verschuldung noch höher treiben würde. Die Madrider Börse verlor seit Jahresbeginn rund 20 Prozent. Ein weiterer Absturz Spaniens wäre für Europa indessen weit schwieriger zu verkraften als der des viel kleineren Griechenland.
Doch auch die bislang als wohlhabend geltenden Niederlande rutschen ab. In Den Haag wird angesichts der jüngsten Regierungs- und Haushaltskrise bereits ein Verlust des Top-Ratings AAA befürchtet. Zusätzlich zu den 18 Milliarden Euro, die Premier Mark Rutte vorher schon eingespart hatte, wird die Regierung nun neue Einsparungen in Höhe von 12,3 Milliarden Euro vornehmen. Darauf hat sich das Interimskabinett geeinigt - die Koalition aus Rechtsliberalen und Christdemokraten ist zerbrochen, nachdem die Freiheitspartei des Rechtpopulisten Geert Wilders ihr die überlebensnotwendige Unterstützung im Parlament entzogen hat. Hollands Wirtschaft ist in der Rezession, das Bruttoinlandsprodukt könnte in diesem Jahr um 0,75 Prozent schrumpfen; und Wilders ist vehement gegen das "Brüsseler Spardiktat". Auf Wunsch von Königin Beatrix bleibt die Regierung bis zu den Neuwahlen am 12. September im Amt.
+++ Spanien wankt, Europa bangt - die Krise ist zurück +++
+++ Ratingagentur stuft Spaniens Bonität zwei Noten herab +++
Der Euro-Experte Jürgen Michels von der Citigroup vertrat in einer Studie gar die Ansicht, dass "die Niederlande das wirtschaftliche Herz Europas bereits verlassen haben". Und die Niederlande sind nach Griechenland, Italien, Irland, Spanien, Portugal, Slowenien und der Slowakei ein weiteres europäisches Land, in dem die Krise eine Regierung zu Fall gebracht hat.
Das nächste Land könnte Frankreich sein - das zusammen mit Deutschland die wirtschaftliche Herzkammer Europas bildet. Den ersten Wahlgang hat Präsident Nicolas Sarkozy bereits verloren, und er liegt in Umfragen zehn Prozentpunkte hinter seinem sozialistischen Herausforderer François Hollande zurück. Am 6. Mai sind die entscheidenden Stichwahlen. Ein Machtwechsel im Élysée-Palast könnte die Probleme Europas noch verschärfen. Hollande hat zum Unmut von Bundeskanzlerin Angela Merkel angekündigt, dass er den Fiskalpakt neu verhandeln und das europäische Spardiktat beenden will. Dieser Pakt sei jedoch von 25 Regierungschefs unterzeichnet und teilweise bereits ratifiziert worden, sagte Merkel dazu der WAZ-Mediengruppe. "Er ist nicht neu verhandelbar." Merkel hat sich im französischen Wahlkampf klar aufseiten von Sarkozy engagiert. Die beiden haben sich ungeachtet stark unterschiedlicher Charaktere in der Krise gut zusammengerauft.
Der düpierte Hollande erklärte nun im Sender France 2: "Es ist nicht Deutschland, das für die Gesamtheit Europas entscheiden wird." Er werde der deutschen Kanzlerin sagen, "dass das französische Volk eine Wahl getroffen hat, die eine Neuverhandlung des Vertrags darstellt". Frankreich sei immerhin eines der führenden Länder Europas, und viele andere Staaten warteten nur darauf, dass Paris in Sachen Fiskalpakt, Sparen und Wachstum die Initiative ergreife. Es ist also denkbar, dass der für Europa so wichtige deutsch-französische Motor ausgerechnet in schwierigen Zeiten zunächst eine Weile stottern wird.
Die europäische Finanzkrise mit harten Sparplänen, die vor allem weniger Betuchte empfindlich treffen, hat der Attraktivität der europäischen Einigungsidee geschadet. Die Wut über die Krise wird auf Europa und auf alles Fremde übertragen. Linke, vor allem aber rechtsradikale und fremdenfeindliche Gruppen erfahren nun Auftrieb. Am augenfälligsten ist dies am Beispiel Frankreichs abzulesen, wo die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen bei 22,6 Prozent liegt - und damit gut 11,5 Prozentpunkte höher als derzeit in Deutschland. Die Chefin des rechtsextremen Front National (FN), Marine Le Pen, erreichte in der ersten Runde des Präsidentschaftswahlkampfes mit 18 Prozent den dritten Platz hinter Hollande und Sarkozy. Ihre Anhänger sind heute im Schnitt viel jünger als noch zu Zeiten ihres Vaters, des ehemaligen FN-Vorsitzenden Jean-Marie Le Pen. Marine Le Pen ist gegen die europäische Einigung und würde den Franc gern wieder statt des Euro einführen.
Deutschland, dessen Wirtschaft weiter wächst und das das europäische Einigungswerk in den vergangenen Jahrzehnten besonders vorangetrieben hat, wird in vielen Teilen Europas inzwischen mit einer brisanten Mischung aus Neid, Wut und Bewunderung wahrgenommen. Vor allem in Griechenland und Spanien wurden immer wieder wütende Anschuldigungen laut, Berlin wolle mit seinen Sparbedingungen Europa "versklaven".