Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Leutheusser-Schnarrenberger über den Überlebenskampf ihrer Partei.
Hamburg. Es sind wieder einmal die Liberalen, die für Aufregung sorgen: Mit der Ablehnung des rot-grünen Haushalts in Nordrhein-Westfalen hat die FDP Neuwahlen herbeigeführt . Das bevölkerungsreichste Land wird nun auch über die Zukunft der altehrwürdigen Partei entscheiden. Die Justizministerin, die als Parteivize auch den bayerischen Landesverband anführt, übte sich beim Besuch des Abendblatts dennoch in Optimismus.
Hamburger Abendblatt : Frau Ministerin, ist die FDP eine Partei von Zockern?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Überhaupt nicht. Wir zocken nicht. Uns geht es in Nordrhein-Westfalen um einen Sparhaushalt. In der rot-grünen Minderheitsregierung, die die Schuldenbremse nicht einhalten will, sitzen die wahren Zocker
Sie haben aber durch Ihr Verhalten für Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen gesorgt.
Leutheusser-Schnarrenberger : Ja, das haben wir. Auf normalem Wege gab es keine Möglichkeit, einen vertretbaren Haushalt auf den Weg zu bringen.
Fürchten Sie, der 14. März 2012 könnte als Tag des Untergangs der FDP in die Geschichte eingehen?
Leutheusser-Schnarrenberger : Auf gar keinen Fall. Wir werden einen kurzen, harten Wahlkampf führen - selbstbewusst und engagiert. Nur wer von sich überzeugt ist, kann andere überzeugen.
Mit einer Koalitionsaussage?
Leutheusser-Schnarrenberger : Wir müssen nicht mit einer Koalitionsaussage in den Wahlkampf gehen. SPD und Grüne haben sich festgelegt, und die CDU wird sich beiden Parteien andienen. Wir werden für uns selbst kämpfen. Wir sind die einzige Kraft der Freiheit. Wir Liberale sind in so vielen Themen das Original, das auch die Piratenpartei abkupfert. Das werden wir deutlich herausstellen.
Befinden sich die Liberalen in ihrer schwersten Phase seit Bestehen?
Leutheusser-Schnarrenberger : Es ist eine schwierige Lage. Wir verschließen nicht die Augen vor der Realität. Die Umfragen treiben uns nicht in Euphorie. Jetzt zu kämpfen, kann daher nur unsere Antwort lauten. Wie das geht, zeigt uns gerade Wolfgang Kubicki in Schleswig-Holstein.
Welche Ergebnisse müssen die Wahlen bringen, damit Philipp Rösler Parteichef bleiben kann?
Leutheusser-Schnarrenberger : Mit solchen Überlegungen machen wir doch keinen Wahlkampf. Wir wollen in die Landtage einziehen. Nichts anderes treibt uns um.
Bleibt Rösler in jedem Falle Parteichef?
Leutheusser-Schnarrenberger : Ja, klar.
Warum kommt die FDP nicht aus dem Tief?
Leutheusser-Schnarrenberger : In Nordrhein-Westfalen zeigen die Umfragen eine Momentaufnahme, von der die Regierung vorerst profitiert. Da ist die FDP noch nicht so sehr im Fokus der Menschen. Auf Bundesebene haben wir es immer noch mit den Nachwirkungen des Fehlstarts der Bundesregierung zu tun. Da ist viel Vertrauen verloren gegangen. Die FDP hat zu lange zu einseitig auf Steuersenkungen statt auf Steuergerechtigkeit gesetzt. Philipp Rösler macht es richtig. Er setzt sich für einen umfassenden Freiheitsbegriff ein.
Am Sonntag bekommt Deutschland ein neues Staatsoberhaupt. Ist Joachim Gauck der FDP zu Dank verpflichtet?
Leutheusser-Schnarrenberger : Hier geht es nicht um Dank. Die FDP hat ganz entscheidend in einer schwierigen Situation einen Mann mehrheitsfähig gemacht, der die richtige Wahl zur richtigen Zeit ist. Wir werden einen Präsidenten bekommen, der den Werten Freiheit und Verantwortung zentrale Bedeutung beimisst. Joachim Gauck setzt auf das Individuum und nicht zuerst auf das Kollektiv. Das finde ich ganz hervorragend. Der Wert der Freiheit wird mit ihm eine ganz neue Bedeutung bekommen.
Ist Gauck ein Liberaler?
Leutheusser-Schnarrenberger : Er selbst sagt, er sei ein sozialer, christlicher Liberaler. Er steht in der Mitte der Gesellschaft. Er lässt sich nicht parteilich kategorisieren.
Was kann Gauck besser als andere?
Leutheusser-Schnarrenberger : Er ist eine Persönlichkeit, die bestimmte Werte sehr authentisch lebt und keine Angst vor Kontroversen hat. Mit seiner Sprache kann er viele Menschen ansprechen. Er hat Empathie und ist unprätentiös, er ist staatsmännisch und bürgernah. Er ist ein Bürgerpräsident.
Halten Sie es für möglich, dass die Union aus Rache gegenüber der FDP Gauck nicht mit großer Mehrheit wählen wird?
Leutheusser-Schnarrenberger : Die Union ist eine staatstragende Partei. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Union Spielereien um das Abstimmungsergebnis machen wird. Das halte ich für undenkbar. CDU und CSU sind von Gauck begeistert.
Die Innenminister bereiten sich intensiv auf ein neues NPD-Verbotsverfahren vor. Nun sollen V-Leute abgezogen werden. Überzeugen Sie diese Maßnahmen?
Leutheusser-Schnarrenberger : Wenn man das Verbotsverfahren will, führt kein Weg daran vorbei, V-Leute aus der NPD abzuziehen. Sonst läuft man wie 2003 sehenden Auges ins Desaster. Es müssen aber noch weitere Schritte folgen. Zu meinen, man habe mit der Aufgabe der V-Leute schon alles getan, ist zu kurz gedacht.
Kann man das Verbotsverfahren überhaupt noch aufhalten?
Leutheusser-Schnarrenberger : Wenn es keine ausreichende Aussicht auf Erfolg gibt, sollte man es nicht versuchen. Wir brauchen eine umfassende Beweislage, um der NPD aggressiv-kämpferisches Verhalten nachweisen zu können.
Sie sind offenbar pessimistischer als die Innenminister.
Leutheusser-Schnarrenberger : Im Moment bin ich sehr skeptisch. Es muss neu Material gesammelt werden. Wir können bisher nicht beweisen, dass die NSU der kämpferische Arm der NPD ist. Wir wissen nur von einigen wenigen Verbindungen.
Welche Lehren müssen Bund und Länder aus der Mordserie ziehen?
Leutheusser-Schnarrenberger : Wir sind zwar noch am Anfang der Aufklärung. Aber aus meiner Sicht müssen wir unsere Sicherheitsarchitektur überdenken. Wir haben 35 Behörden, die sich mit Rechtsextremismus befassen. Dass diese Strukturen nicht erfolgreich sind, ist leider anhand der über Jahre falsch eingeschätzten Mordserie bewiesen. Ich frage mich, ob wir den MAD brauchen, der sich auch um Rechtsextremismus kümmert. Es wäre klüger, das Bundesamt für Verfassungsschutz als Zentralstelle zu stärken.
Brauchen wir überhaupt einen Verfassungsschutz?
Leutheusser-Schnarrenberger : Wir brauchen auf jeden Fall das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ob wir auf Länderebene weiter Kleinststrukturen erhalten sollten, bezweifle ich. Man kann durch Verträge Zusammenschlüsse organisieren, die sinnvoll sind.
Auch im Norden?
Leutheusser-Schnarrenberger : Natürlich. Ich kann mir ein großes Amt für Verfassungsschutz in Hamburg vorstellen, das die Aufgaben im Norden übernimmt. Wir müssen nach Aufklärung über effiziente Strukturen sprechen, um Informationsdefizite abbauen zu können.
Die Bundeskanzlerin erwägt offenbar, mit der Frauenquote in den Wahlkampf 2013 zu ziehen. Wie wird sich die FDP positionieren?
Leutheusser-Schnarrenberger : Wir ziehen mit Sicherheit nicht mit der Quote in den Wahlkampf. Die Union muss sich erst mal entscheiden, welches Quotenmodell sie überhaupt will. Und die FDP wird klar sagen: Eine Quotenverpflichtung wird es mit uns nicht geben.
Was haben Sie denn dagegen, dass die Chefetagen weiblicher werden?
Leutheusser-Schnarrenberger : Überhaupt nichts. Im Gegenteil: Ich will, dass die Unternehmen Frauen fördern. Aber es müssen auch die unterschiedlichen Situationen in den Unternehmen berücksichtigt werden.
Jede Branche tickt nun mal anders ...
Leutheusser-Schnarrenberger : Und da erleben wir einen sehr dynamischen Prozess. Es gehört längst zum guten Stil eines Unternehmens, deutlich mehr Frauen zu fördern. Wir haben die Emanzipation. Wir müssen doch nicht alten Modellen wie einer Quote nachlaufen.
Das Modell des guten Zuredens hat doch in den vergangenen Jahren schon nicht funktioniert.
Leutheusser-Schnarrenberger : Es hat sich viel verändert in den vergangenen zwei Jahren. Die Wirtschaft steht doch massiv unter Druck. Die Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie wissen, dass sie Männerklubs nicht mehr aufrechterhalten können. Wir sollten die jetzige Dynamik nicht durch eine vordergründige Quotendebatte schwächen.