Vor drei Monaten trat er als FDP-Generalsekretär zurück. Jetzt wird er als Spitzenkandidat und nächster Landeschef in Nordrhein-Westfalen Philipp Rösler gefährlich
Berlin/Düsseldorf. Der eine hatte gerade Zeit und nichts mehr zu verlieren. Der andere wollte ein Ministerium in Reformzeiten führen und wusste, dass er alles verlieren könnte. Es mag genügend objektive Kriterien gegeben haben, nicht Daniel Bahr, sondern Christian Lindner als Spitzenkandidat für die Neuwahlen in Nordrhein-Westfalen ins Rennen zu schicken. Die Personalentscheidung, die am späten Donnerstagabend getroffen wurde, ist dennoch eine kleine Sensation.
Nur drei Monate nach seinem überraschenden Rücktritt vom Amt des FDP-Generalsekretärs will es der 33-jährige Lindner schon wieder wissen. Noch vor wenigen Tagen galt seine Bewerbung um den Bezirksvorsitz der FDP in Köln als zaghaftes Zeichen seiner Bereitschaft, für die am Boden liegende Partei weiter zu kämpfen. Jetzt ist er voll zurück im Machtspiel der Bundes-FDP. Neben der Spitzenkandidatur will Lindner Gesundheitsminister Bahr als Chef im größten und bundesweit mächtigsten FDP-Landesverband ablösen. Bahr führt den Verband erst seit 14 Monaten an. Dass er Platz machen würde, hatte niemand geahnt. "Wir spielen nicht auf Platz, sondern auf Sieg", kündigte Lindner nach der außerordentlichen Vorstandssitzung der NRW-FDP an. Aus den anderen Landesverbänden kamen umgehend begeisterte Gratulationen. Wenn einer die Fünf-Prozent-Hürde noch knacken könne, dann Lindner, hieß es in Parteikreisen.
Der jetzige Landeschef Bahr musste sich dennoch erklären. Als Bundesgesundheitsminister habe er wichtige Vorhaben wie etwa die Pflegereform zu bewältigen, sagte Bahr am Freitag beim Zahnärztetag Westfalen-Lippe in Gütersloh. Darum habe er sich für Berlin und gegen Düsseldorf entschieden. "Die Doppelbelastung wäre zu einer Zerreißprobe geworden", sagte Bahr. "Denn beide Aufgaben erfordern volle Konzentration. Da muss man sich entscheiden."
Es sei Bahrs eigene Entscheidung gewesen und nicht die Folge eines Machtkampfs, hieß es aus seinem Umfeld. Klar ist, dass der Minister ab sofort in Lindners Schatten steht. Dieser muss auf seine Wahl zum Landeschef allerdings noch bis Ende April oder Anfang Mai warten. Auch FDP-Chef Philipp Rösler war für die Entscheidungsfindung nach Düsseldorf gereist. Über Lindner sagte er: "Wir schicken den besten Mann." Ob das Verhältnis zu seinem früheren Generalsekretär noch immer zerrüttet ist, kann in diesen Tagen nur schwer gedeutet werden.
Im Dezember, als Lindner zur Überraschung Röslers hinwarf, herrschte noch Funkstille zwischen beiden. Damals hatte sich Lindner mit einem vielversprechenden "Auf Wiedersehen" von der großen politischen Bühne verabschiedet. Seinen Abgang hatte er damit begründet, der Partei "eine neue Dynamik zu ermöglichen". Die unter Lindners Ägide begonnene Arbeit an einem neuen Grundsatzprogramm übernahm Nachfolger Patrick Döring, ein enger Vertrauter Röslers.
Jetzt muss der Parteichef den Rückkehrer Lindner wieder als einen der mächtigsten Liberalen des Landes akzeptieren. Sollte Lindner der Einzug in den Düsseldorfer Landtag gelingen, könnte dieser bei nächster Gelegenheit Rösler angreifen. Sollte Lindner scheitern, wäre Röslers Position im Bund vielleicht sogar gestärkt. Das Risiko für Lindner, den Jürgen Möllemann einst als "Bambi" in der Düsseldorfer Politik aufzog, ist aber überschaubar. Bei zwei Prozent in den Umfragen kann es fast nur besser werden. Warum er am 14. Dezember als Parteigeneral in Berlin nicht mehr wollte, darüber schweigt Lindner eisern. Nachtreten ist seine Sache nicht. Sein Nachfolger Patrick Döring war da weniger zimperlich. In einem Interview unterstellte er Lindner, er habe mit seinem Rücktritt einen Sturz von FDP-Chef Philipp Rösler herbeiführen wollen.
"Das ist abgehakt", sagen Lindner-Freunde. Der nun zurückgekehrte Hoffnungsträger machte seit dem Rücktritt Basisarbeit, beackerte als Bundestagsabgeordneter eine "kleine Parzelle", wie er es formulierte. Sprach bei Handelskammern, besuchte Empfänge und diente als Mitglied des Wirtschaftsausschusses. In der FDP-Fraktion bekam er einen kleinen Sprecherposten. Ein schon fertiges Buch mit liberalen Thesen, das im März erscheinen sollte, legte der frühere PR-Profi und Politikwissenschaftler auf Eis.
In der Bundespartei wird erwartet, dass Lindner jetzt als "Rampensau" im Acht-Wochen-Wahlkampf zeigt, was er draufhat. In seinem Heimatland ist er bestens vernetzt. Als Schüler - die "Freiburger Thesen" im Tornister - gründete er in seinem Heimatort Wermelskirchen im Bergischen Land mit Freunden eine Juli-Gruppe. 2000 zog er als jüngster Abgeordneter in den Landtag ein. Am 13. Mai wird sich entscheiden, ob er dort wieder einziehen kann. Die rot-grüne Landesregierung hat den Muttertag als Wahltermin festgelegt.