Morgen soll der SPD-Mann zum Präsidenten des Europäischen Parlaments gewählt werden. Er fordert unter anderem einen Platz am Tisch der Euro-Retter.
Hamburg/Berlin. "Ich hoffe, es klappt im ersten Versuch." Martin Schulz gibt sich auffallend gelassen, als er vom Autotelefon aus über den bisher wichtigsten Karriereschritt seines Lebens spricht. Bis zu vier Wahlgänge sind angesetzt, wenn der SPD-Politiker morgen in Straßburg zum Präsidenten des Europäischen Parlaments (EP) gewählt werden soll. Aber Schulz setzt auf seine Erfahrung, und die sagt ihm: Eigentlich müsste seine Wahl reine Formsache sein. Schulz kann auch auf die Unterstützung der Christdemokraten im Parlament setzen. Bisher war der 56-Jährige Vorsitzender der Fraktion der Sozialisten im EP. Nun löst er nach zweieinhalb Jahren turnusmäßig den polnischen Konservativen Jerzy Buzek ab. Ihn hatten 2009 auch die Sozialisten gewählt, was Schulz in den vergangenen Tagen oft erwähnt hat. Ohne die Kollegialität der politischen Kontrahenten könnte es sonst eng werden für ihn.
Was ab morgen alles anders werden kann und soll, darüber hat sich Schulz natürlich gründliche Gedanken gemacht. Politischer als seine Amtsvorgänger will er das höchste Amt im Parlament ausüben. Er will mitreden, ganz oben auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs. "Ich bin ein Politiker, der Klartext redet", sagt er. Das bringt ihm immer wieder Ärger ein. Zuletzt hatte er sogar Buzek verärgert, weil Schulz ankündigte, mit einer Rolle als "Grüß-August" oder als "wenig geliebter Cousin am Rande" werde er sich nicht zufrieden geben. Auch als Präsident bleibe er streitlustig, wenn es um die Interessen der Bürger gehe, versichert er.
Als Mann der offenen Worte und pointierter Wortmeldungen galt Schulz bislang als einer der wichtigsten Europapolitiker des Landes. Jetzt könnte er der wichtigste werden. Und seine Haltung in der Euro-Krise dürfte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kaum gefallen. So gehen Schulz die bisherigen Rettungsmaßnahmen für Griechenland nicht weit genug. Er fordert milliardenschwere EU-Hilfen - und zwar sofort. "Die bis 2016 vorgesehenen europäischen Strukturfonds-Mittel für Griechenland sollten vorgezogen und als Konjunkturprogramm eingesetzt werden. Wenn diese Mittel sinnvoll, zukunftsorientiert und nachhaltig eingesetzt werden, könnte Griechenland somit seine Wirtschaft ankurbeln", sagt er. Das Land brauche die Investitionen jetzt und nicht erst in ein paar Jahren. Und da die Gelder des Strukturfonds ohnehin verplant seien, käme es für die anderen EU-Staaten zu keinen Mehrausgaben. "Griechenland wird sich ohne Wirtschaftswachstum nicht erholen", ist der Sozialdemokrat überzeugt. Das Land müsse dabei natürlich seine Wirtschaft reformieren, es müsse sparen und eine funktionierende Steuerverwaltung aufbauen.
Schulz könnte tatsächlich der politischste aller EU-Parlamentspräsidenten werden. Einer, der sich mehr einmischt, als anderen recht sein mag. Die Wahrnehmung des Parlaments als Resterampe aussortierter Politiker und die tatsächliche Macht des Parlaments passen seiner Meinung noch immer nicht zusammen. Auch das will er ändern. Und er will Europa transparenter machen. Immer mehr Menschen hätten das Gefühl, dass die Europäische Union Entscheidungen treffe, die die Bürger direkt berührten, aber die sie nicht nachvollziehen könnten. "Und das Parlament muss der Ort sein, wo die offene Auseinandersetzung um diese Entscheidungen geführt wird. Hier können die Beschlüsse und Entscheidungen von Europäischem Rat und Kommission öffentlich diskutiert werden", so Schulz. Politik auf Landes- oder Bundesebene hat der Sozialdemokrat nie kennengelernt. Der Buchhändler aus Würselen bei Aachen fing auf Kommunalebene an. In seiner Heimatstadt wurde er im Alter von 31 Jahren zum jüngsten Bürgermeister Nordrhein-Westfalens gewählt. Seit 1994 sitzt der Vater zweier Kinder im Europäischen Parlament.
Europaweit bekannt wurde Schulz, als er im Sommer 2003 dem damals neuen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi Verstöße gegen Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vorwarf. Berlusconi entgegnete wütend, er werde Schulz "für die Rolle eines Kapo in einem KZ-Film" vorschlagen. Der Disput half seiner Karriere. Im Herbst 2009, als es darum ging, einen Nachfolger für Günter Verheugen (SPD) in der EU-Kommission zu finden, waren auch Schulz Chancen eingeräumt worden. Aber die Kanzlerin entschied sich für einen Vertreter ihres eigenen Lagers und nominierte zur Verwunderung des Brüsseler Betriebs den damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger als deutschen EU-Kommissar. Schulz avancierte zum EU-Beauftragten des SPD-Bundesvorstands.
Der vierte deutsche Parlamentspräsident nach Egon Klepsch, Klaus Hänsch und Hans-Gert Pöttering telefoniert regelmäßig mit der Kanzlerin. Am liebsten würde er bei EU-Gipfeln mit ihr am Tisch sitzen. Schließlich würden die Chefs der EU-Kommission, des Europäischen Rats und der Europäischen Zentralbank eingeladen, nur der Chef des Europäischen Parlaments nicht, beschwert er sich. Und die kommenden Monate werden für Europa wegweisend sein. Mit der Herabstufung der Kreditwürdigkeit von neun Euro-Ländern durch Standard & Poor's sieht Schulz auch den Druck auf die Bundesregierung "natürlich" wachsen. "Mit der Herabstufung Frankreichs wird auch die Bonität des Euro-Rettungsschirms herabgestuft." Die Wirtschafts- und Finanzkraft Europas sei allerdings stark genug, die Krise zu bewältigen. "Vor wenigen Monaten sind auch die USA herabgestuft worden. Und was ist passiert? Nichts." Schulz will ein optimistischer Parlamentspräsident sein.
Bis zum Ende der Legislaturperiode im Sommer 2014 wird Schulz Parlamentspräsident bleiben. Und dann? Minister in Deutschland, EU-Kommissar oder gar Kommissionspräsident? "Da mache ich mir überhaupt keine Gedanken", sagt er. "Jetzt will ich das neue Amt mit all meiner Kraft und Kompetenz ausfüllen."