Wolfgang Schäuble (CDU) spricht im Abendblatt über den Zustand der schwarz-gelben Regierung und den nächsten Bundespräsidenten.
Berlin. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) verteidigt in dem Interview das Sparpaket der Bundesregierung - und erteilt einer großen Steuerreform in dieser Wahlperiode eine endgültige Absage.
Hamburger Abendblatt:
Herr Minister, würden Sie wetten, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung bis Weihnachten durchhält?
Wolfgang Schäuble:
Aber sicher. Ich halte nichts von solchen Wetten. Sie schaffen ja den Eindruck, als würde es daran Zweifel geben ...
... die gibt es.
Die Koalition hat eine klare Mehrheit. Sie ist in einer schwierigen Phase, sie hat schwierige Entscheidungen zu treffen. Überall auf der Welt sinkt das Vertrauen in die etablierten politischen Institutionen und Verfahren. Das ist in Deutschland überhaupt nicht dramatischer als in anderen Demokratien. Ein Trost ist das nicht.
Sie waren Innenminister unter Helmut Kohl und sitzen seit fünf Jahren mit Angela Merkel am Kabinettstisch. Haben Sie so ein Koalitionsklima schon erlebt?
Im Kabinett ist das Klima nicht schlecht. Den Haushalt 2011 und die mittelfristige Finanzplanung zustande zu bringen ist eine schwierige Operation. Wir tricksen nicht, wir machen das ganz seriös. Es gibt eine hohe Bereitschaft bei allen Kabinettskolleginnen und -kollegen, zum Gelingen dieser Operation beizutragen.
Nur noch zwölf Prozent der Bürger - das zeigt eine neue Umfrage - sind mit der Bundesregierung zufrieden.
Der öffentliche Eindruck ist ziemlich negativ, das will ich gar nicht bestreiten. Alle müssen sich selbst jetzt am Riemen reißen. Es muss aufhören, dass jeder den anderen am Riemen reißt. Die Koalition sollte sich an Goethe halten: Ein jeder kehrt vor seiner Tür, und sauber ist das Stadtquartier. Alle Beteiligten sind aufgerufen, schwierige Entscheidungen zu erläutern, und nicht ständig Fantasie walten zu lassen, was man als Nächstes streitig diskutieren könnte.
Tut Angela Merkels abwartender Führungsstil der Koalition gut?
Ich weiß gar nicht, was man unter abwartendem Führungsstil versteht. Angela Merkel ist sich ihrer Verantwortung als Bundeskanzlerin bewusst. Sie muss zusammenführen, und sie muss Entscheidungen zustande bringen. Im Gegensatz zu manchen anderen weiß sie, dass Entscheidungen in der Koalition nur zustande kommen können, wenn die Partner zustimmen.
Wer braucht da Nachhilfe?
Empfehlungen aus der CDU, was die FDP tun soll, oder Empfehlungen aus der FDP, was die CSU tun soll, helfen uns nicht weiter. Ich werde mich an all den Debatten und Beschimpfungen nicht beteiligen. Wenn man ein gemeinsames Ergebnis hat, muss man es gemeinsam vertreten - auch wenn man sich nicht in jedem einzelnen Punkt wiederfindet. Ich habe den Kollegen gesagt: Bitte fangt jetzt nicht an, öffentlich zu diskutieren, was wir alles in den nächsten Jahren an steuerpolitischen Maßnahmen machen könnten.
Ein Machtwort der Kanzlerin könnte nicht helfen?
Die Demokratie beruht nicht auf Basta und Machtworten. Das ist eine wahrlich vordemokratische Vorstellung. Es geht nicht nach Befehl und Gehorsam. Richtig ist allerdings, dass wir in der Koalition mehr Disziplin brauchen.
Könnte der Finanzminister einen höheren Spitzensteuersatz durchsetzen, ohne die FDP zu vergraulen?
Darüber nachzudenken wäre das Gegenteil von dem, was ich zuvor erläutert habe. Wir haben in der Klausurtagung gute Rahmenentscheidungen getroffen, die wir nun im Bundeshaushalt konkretisieren müssen. Danach kommt ein intensives parlamentarisches Verfahren. Kein Gesetz bleibt so, wie es konzipiert worden ist.
Die Messe ist also noch nicht gelesen, um es katholisch auszudrücken.
Ich bin Protestant. Der Bundestag wird seine Verantwortung als höchstes Verfassungsorgan wahrnehmen. Das muss man respektieren. Die Beratungen sind keine Übung im Abnicken. Wir werden seriös alle Einwände aufnehmen und kritisch prüfen.
Schwarz-Gelb schont die Reichen und spart bei den Schwächsten - lässt sich dieser Eindruck verwischen, ohne Gutverdiener stärker zu belasten?
Das Zukunftspaket hat keine soziale Schieflage. Es ist unstreitig, dass wir unser Haushaltsdefizit vor allen Dingen auf der Ausgabenseite reduzieren müssen. Und wenn man sich den Bundeshaushalt anschaut, stellt man fest: Weit mehr als die Hälfte aller Ausgaben sind Sozialausgaben. Da kommen Sie um Kürzungen in diesem Bereich gar nicht herum. Aber wenn am Ende des parlamentarischen Verfahrens ein noch besseres Ergebnis steht, bin ich überhaupt nicht traurig.
Sie haben eine Studie zum ermäßigten Mehrwertsteuersatz erstellen lassen. Welche Änderungen sind möglich?
Wenn wir alle Produkte mit 19 Prozent Mehrwertsteuer belegen, haben Bund und Länder 23 Milliarden Euro mehr in der Kasse. Aber niemand will auf Nahrungsmittel den vollen Satz erheben. Und dann sind 17 der 23 Milliarden schon mal weg. Am Ende stellt man fest, dass der Spielraum ziemlich klein ist. Es ist keine gute Idee, das Haushaltsdefizit über den ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu reduzieren.
Bleibt es auch bei den Steuergeschenken für Hoteliers?
Wir haben den ermäßigten Mehrwertsteuersatz für das Beherbergungsgewerbe so entschieden, und es gibt dafür gute Gründe - vor allem in den Grenzregionen. Jetzt sollten wir uns auf die Aufgaben der Zukunft konzentrieren. Schwierige Abgrenzungen wird es geben, solange es unterschiedliche Mehrwertsteuersätze gibt. Das lässt sich gar nicht verhindern.
Was ist mit der großen Steuerreform? Kommt sie noch in dieser Wahlperiode?
Eher nicht. Man kann eine große Steuerreform nicht aufkommensneutral machen, sondern braucht einen deutlichen Entlastungsspielraum. Sonst hat man politisch keine Chance. Und diesen Spielraum sehe ich für diese Legislaturperiode nicht.
Herr Schäuble, die Schuldenkrise hält die Euro-Zone fest im Griff. Warum kehrt Deutschland nicht einfach zur D-Mark zurück?
Wer fordert denn so etwas?
Zum Beispiel der frühere Industriepräsident Henkel.
Ich schätze Hans-Olaf Henkel seit vielen Jahren, und er hat ja auch den Mut zu originellen Vorstößen. Der Vorschlag, zur D-Mark zurückzukehren, ist aber völlig abwegig und hilft unserem Land nicht. Deutschland hat von der Einführung des Euro mehr profitiert als jedes andere Land. Es wäre ein Akt gewaltiger Selbstbeschädigung, wenn Deutschland aus der Währungsunion austreten würde.
Das schlimmste Szenario wäre: Deutschland setzt Hunderte Milliarden ein und schafft es trotzdem nicht, den Euro zu retten ...
Wir haben mehr Verantwortung für den Euro als andere, weil wir das größte, stärkste und erfolgreichste Land sind. Wir dürfen keine Schwächung der gemeinsamen Währung zulassen. Staaten wie Griechenland zu helfen liegt in unserem eigenen Interesse. Man muss sich nur mal den deutschen Außenhandel anschauen: Zwei Drittel gehen in Länder der Euro-Zone.
Wie bedrohlich ist die Schuldenkrise?
Es gibt Professoren, die Inflations- und Deflationsängste im selben Atemzug schüren. Die meisten Experten weltweit sagen allerdings: Der 750-Milliarden-Schirm, den wir gespannt haben, ist richtig und ausreichend, um die Stabilität des Euro zu gewährleisten. Es ist dabei unabdingbar notwendig, dass alle Staaten entschlossen sparen, um die Vorgaben des Euro-Stabilitätspakts zu erfüllen. Wenn dies geschieht, ist mir um die Zukunft der gemeinsamen Währung nicht bange.
Zur Rettung des Euro sind Grundprinzipien der Währungsunion über Bord geworfen worden. Unter politischem Druck kauft die Europäische Zentralbank wertlose Staatsanleihen auf ...
... Einspruch! Die EZB nimmt ihre Verantwortung aus einer unabhängigen Position wahr. Mein Vertrauen in die geldpolitischen Entscheidungen der Zentralbank ist fest. Aber die EZB kann die Krise nicht alleine bewältigen. Wichtig wird sein, den Instrumentenkasten des Stabilitätspakts zu verbessern. Dann wird das Vertrauen der Märkte in den Euro zurückkehren.
Wer hat eigentlich die Macht: die Märkte oder die Politik?
In einer freiheitlichen Demokratie kann der Staat nicht alles regeln. Das ist eine Grundvoraussetzung für Freiheit. Alles andere ist Totalitarismus. Wir haben in Deutschland zwei totalitäre Diktaturen erlebt, wir wollen das nicht. Die Politik kann einen Rahmen für die Märkte setzen, das muss sie auch - mehr aber nicht.
Und wenn dies nicht gelingt?
Die Finanzmärkte sind außer Kontrolle geraten und waren in der Gefahr, sich selbst zu zerstören. Die Politik musste sie retten. Daraus müssen Konsequenzen gezogen werden. Das gefällt den Marktteilnehmern gar nicht, das weiß ich schon. Aber das ist gleichgültig. Ohne Regeln und ohne Grenzen zerstört sich jedes freiheitliche System selbst. Aber man darf die Regeln und Grenzen nicht so setzen, dass man die Freiheit zerstört.
Herr Schäuble, wären Sie eigentlich gerne noch Sportminister?
Ich bin es ja nun zweimal gewesen. Und ich kann auch als Finanzminister mitfiebern mit der deutschen Nationalmannschaft.
Wer wird Weltmeister?
Deutschland.
Würden Sie denn darauf wetten?
Sie immer mit Ihren Wetten! Deutschland hat eine junge, begeisterungsfähige Mannschaft. Sie wird es schaffen.
Wer wird beim Finale in Johannesburg als Bundespräsident auf der Tribüne sitzen?
Ich will der Bundesversammlung nicht vorgreifen. Aber Union und FDP haben mit Christian Wulff einen wirklich guten Kandidaten vorgeschlagen, und ich bin ganz sicher, dass er gewählt wird.
SPD und Grüne haben auch einen guten Kandidaten.
Das ist wahr. Jeder von uns hat großen Respekt und Sympathie für Joachim Gauck. SPD und Grüne haben ihn aber vor allem deswegen aufgestellt, um Union und FDP zu ärgern. Das ist legitim.
Wie käme Kanzlerin Merkel mit einem Präsidenten Gauck zurecht?
(schmunzelt) Frau Merkel hat die Laudatio zum 70. Geburtstag von Joachim Gauck gehalten. Die kann jeder nachlesen.