Die Kandidatur von Joachim Gauck für das höchste Staatsamt war die Idee des Spitzen-Grünen. Nun will er den Regierungswechsel.
Berlin. Jürgen Trittin lacht ein kurzes, seufzendes Lachen. Ein Lachen, das sich wie ein Stöhnen anhört. Ein Hall geht durch das geräumige Fraktionsvorsitzenden-Büro. Trittin atmet tief durch. So eine törichte Frage wie eben scheint er schon lange nicht mehr gehört zu haben. Wie er denn auf Joachim Gauck gekommen sei, wollte sein Gegenüber nur wissen. Trittin rutscht auf dem schwarzen Ledersessel ein Stück nach vorn. Sein verständnisloser Blick sagt: Wer sonst, wenn nicht Gauck?
Die Nominierung des Bürgerrechtlers war Trittins Idee, als die Spitzen der Grünen vor zwei Wochen mit der SPD-Führung eine überparteiliche Persönlichkeit suchten, die sie Bundeskanzlerin Angela Merkel empfehlen wollten. Sein Vorschlag setzte sich durch. Gauck ist sein Kandidat. Aber Trittin lässt das so nicht gelten. "Wir haben diesen Vorschlag gemacht. Herr Gauck ist unser gemeinsamer Kandidat", sagt er. "Wir wollten einen Kandidaten finden, der auch ein Angebot an die konservative Mehrheit ist." Trittin will nicht verraten, wie stolz er auf seinen Personalcoup ist und wie sehr ihn die breite Begeisterung für Gauck überrascht hat. Er sagt: "Dass der Vorschlag Gauck Sympathien im schwarz-gelben Lager auslösen würde, war mir völlig klar."
Einen wie Jürgen Trittin kann so schnell nichts beeindrucken. Mehr als die Hälfte seines Lebens ist der 55-jährige Kaufmannssohn nun in der Politik. Er kennt den ständigen Wechsel von Opponieren und Regieren, er kennt die parteiinternen Kämpfe. Er war Minister in Niedersachsen, er war Bundesumweltminister, er war auch mal Verlierer. 2005 scheiterte er, als er Fraktionschef werden wollte. Er bekam einen Vize-Posten. Und hielt durch. Er beherrscht die Kunst des Taktierens. Sein strategisches Denken will er sich vor allem als Sozialwissenschaftsstudent angeeignet haben, als er sich im Kommunistischen Bund engagierte. Es hilft ihm bis heute.
Im Moment ist wieder Aufstiegszeit. Trittin ist der Chef der größten Grünen-Fraktion aller Zeiten, die Partei legt in den Umfragen unaufhörlich zu, das rot-grüne Projekt kommt wieder in Fahrt. Und Horst Köhler, der schwarz-gelbe Präsident, hat aufgegeben. Trittin ist auch Teil dieser Geschichte.
Wenn er die Zeit findet, dann wird er heute Abend vielleicht den Fernseher anschalten. Der Große Zapfenstreich für Köhler, diese höchste militärische Abschiedszeremonie, ist ein Ereignis, das selbst einen wie Trittin bewegen könnte. Köhler wird ein letztes Mal die große Staatsbühne betreten. Man wird in diesen Momenten noch einmal ergründen wollen, warum Deutschlands neunter Präsident der erste war, der zurücktreten wollte. Und vielleicht werden manche Kommentatoren an diesem Abend auch einmal über die Rolle Jürgen Trittins sprechen wollen.
Denn genau genommen gab Köhler Kritikern wie Trittin die Schuld an seinem Rücktritt. Eine Rückschau: Von Afghanistan aus hatte Köhler in einem Radio-Interview gesagt, die Auslandseinsätze der Bundeswehr dienten auch der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen. Die Empörung darüber kam spät, aber umso lauter. Trittin formulierte seinen Unmut am schärfsten: Er warf dem Präsidenten vor, mit seinen Äußerungen nicht auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. "Es ist mit unserer Verfassung nicht zu vereinbaren, Kanonenbootpolitik zu betreiben."
Vier Tage später trat Köhler zurück - und formulierte Sätze, die bis heute wie eine Klage über Trittin klingen: Ihm werde unterstellt, er befürwortete rechtswidrige Bundeswehreinsätze. Das lasse den notwendigen Respekt für das Amt vermissen. Der Vorwurf, einen Präsidenten aus dem Amt getrieben zu haben, heftet Trittin an. Ob er seine Worte heute noch einmal so wählen würde? Trittin winkt ab. "Das ist eine müßige Diskussion."
Aber er rechtfertigt sich: "Der Präsident hatte sich missverständlich ausgedrückt und ich wollte eine Klarstellung von ihm. In den Mandaten der Bundeswehr ist nichts von der Wahrung deutscher Handelsinteressen zu lesen." Es müsse möglich sein, dass man einen Präsidenten scharf kritisiert. "Meine Worte an Herrn Köhler mögen im Ton zugespitzt gewesen sein, aber das kann nicht wirklich ein Rücktrittsgrund sein." In der Sache sei seine Kritik mehr als berechtigt gewesen. "Ein Präsident muss damit leben können." Trittin glaubt: "Köhler hat sich von Schwarz-Gelb nicht genügend unterstützt gefühlt." Er wehrt sich gegen die Darstellung, er habe einen Bundespräsidenten auf dem Gewissen. Diejenigen, die in ihm einen arroganten Schnösel sehen, könnten dann ja behaupten, Trittin sei immer noch der Altlinke, der staatliche Würden nicht akzeptieren kann. Der gegen öffentliche Gelöbnisse stänkert und die Hände in der Hosentasche vergräbt, wenn im Bundestag die Nationalhymne gesungen wird. So will er nicht mehr sein. "Ich trage keinen Schnauzbart mehr, ich bin älter geworden, vielleicht bin ich duldsamer, ich habe die guten Seiten von Institutionen mehr schätzen gelernt", zählt er die Wendepunkte seiner Entwicklung auf. Auch der Herzinfarkt vom Januar ist so ein Wendepunkt. Er sei nicht wegen mangelnder Bewegung, sondern aufgrund "einer fatalen erblichen Vorbelastung" krank geworden. Nun nehme er Medikamente, mache aber nicht viel anders als früher. "Wichtig ist, dass ich genügend schlafe. Ich achte darauf, dass es sechs Stunden werden."
Und was Sport angeht, hat Trittin ohnehin eine ganz eigene Philosophie entwickelt. Er würde niemandem raten, jeden Tag den gleichen Sport zu treiben, sagt er. "Die Bänder müssen die Gelegenheit bekommen, sich zurückbilden." Sonst laufe man Gefahr, sich Zerrungen zu holen. "Arjen Robben ist unter Louis van Gaal erst zu großer Form aufgelaufen, nachdem ihn von Gaal immer wieder im Training hat pausieren lassen, um seine Verletzungsgefahr zu mindern." Jetzt ist Robben verletzt. Die Fußball-WM findet noch ohne ihn statt.
Jürgen Trittin aber hat einen guten Lauf. Der soll bis 2013 halten. "Der politische Ehrgeiz, einen Regierungswechsel zu schaffen, ist natürlich schon groß." Er muss wieder lachen. "Wenn man meinen politischen Werdegang anschaut, dann gibt es viele Wechsel. Der längste Job, den ich je gemacht habe, war der des Bundesumweltministers. Wenn man 1998 gesagt hätte, der Trittin wird sieben Jahre Umweltminister sein, ich hätte es nicht geglaubt. Bis dahin hatte ich ein politisches Leben geführt, in dem ich alle vier Jahre etwas anderes gemacht hatte." Umweltminister, das hat ihm Spaß gemacht. Der Atomausstieg, das Dosenpfand, das waren seine Verdienste. 2013 wäre Trittin vier Jahre lang Fraktionschef. Zeit, etwas anderes zu machen. Noch mal Umweltminister? Trittin antwortet auf seine Art: "Ich wollte nie, dass in Brokdorf ein Atomkraftwerk gebaut wird. Heute tue ich alles dafür, dass Brokdorf fristgerecht vom Netz geht. Wo habe ich mich verändert?"