Der Blick auf die Täter reiche nicht, um den Missbrauch zu begreifen, sagte der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes.
Berlin. Nach der Aufdeckung von Missbrauchsfällen in katholischen Einrichtungen wünscht sich der Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, Klaus Mertes, eine intensivere Auseinandersetzung mit der Rolle der Kirche.
„Der Blick bloß auf die Missbrauchstäter im engeren Sinne ist zu kurz, um den Missbrauch zu begreifen“, schrieb Mertes in einem Beitrag für den „Tagesspiegel“ (Sonntag). Die Kirche müsse zudem bereit sein, aus den Erfahrungen der Opfer zu lernen.
Die missbrauchten Menschen seien nicht nur Opfer im Sinne wehrloser Objekte von Gewalt. Sie seien auch „Geopferte“, weil ihre Geschichte „die Ehe der Eltern, das Ansehen der Institution, den Frieden der Gemeinde gefährdet“, schrieb Mertes. Weil das Opfer mit seiner Erfahrung das System gefährde, in dem es lebt, müsse es nach dieser Logik „zum Schweigen gebracht werden“.
Diese Opferung sei die Fortsetzung des Missbrauchs. „Gewalt gegen Schutzbefohlene, gerade auch in ihrer besonders schlimmen Form der sexualisierten Gewalt, wird in dem Moment zu struktureller Gewalt, wo die zum System Gehörigen die Ohren verschließen vor der Stimme des Opfers. Dass dies vielerorts geschehen ist, wurde in den letzten beiden stürmischen Monaten auf erschreckende Weise deutlich.“
Es gelte nun, die Missbrauchsopfer als Subjekte zu begreifen: „Sie haben im Überlebenskampf Erfahrungen mit der Kirche, mit der Hierarchie“ und verschiedenen Formen von Pädagogik gemacht. Der Dialog mit ihnen sei eine Gelegenheit zu lernen – für Kirche, für Schul- und Internatspädagogik, für Recht und Politik.
Rektor Mertes hatte die ersten Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg Ende Januar öffentlich gemacht. Daraufhin meldeten sich immer mehr Opfer. Auch an anderen Einrichtungen in Deutschland wurden Fälle sexuellen Missbrauchs und körperlicher Gewalt bekannt.