Der Vorstandschef der Techniker Krankenkasse über Sparpotenziale der Pharmaindustrie und Minister Röslers Kopfpauschale.
Hamburg. Hamburger Abendblatt:
Herr Klusen, die Regierungskommission hat ihre Arbeit aufgenommen. Wird jetzt alles besser für Versicherte und Patienten?
Norbert Klusen:
Wir haben gerade eine Gesundheitsreform mit durchgreifenden Änderungen hinter uns. Der Gesundheitsfonds hat für die medizinische Versorgung der Menschen gar nichts gebracht. Auch hat er die Finanzierung nicht nachhaltig und stabil gemacht. Sonst würde man ja jetzt nicht wieder zusammensitzen. Diese dauernden Reformen, die nur an politischen Kompromissen orientiert sind, zerstören das Vertrauen der Menschen in ein Gesundheitssystem, das international gesehen sehr gut ist. Ich hoffe, dass die Regierung es ernst meint, auch mehr Wettbewerb zuzulassen.
Abendblatt:
Für Gesundheitsminister Philipp Rösler geht es vor allem um die Kopfpauschale. Wird sie zum "Gesundheits-Hartz" der schwarz-gelben Regierung?
Klusen:
Die Gesundheitsprämie ist sicher kein populäres Thema. Alle haben Angst, dass sie mehr bezahlen müssen und dass der Ausgleich zwischen Arm und Reich nicht funktioniert. Es kann aber durchaus gerechter sein, weil sich mehr Gutverdiener an der Finanzierung des Sozialausgleichs beteiligen würden. Ein kompletter Ausgleich über das Steuersystem würde nach derzeitigen Zahlen maximal 23 Milliarden Euro kosten, wenn die Prämie 140 Euro beträgt und man niemanden schlechter stellt. Wenn man die Regeln zur steuerlichen Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge berücksichtigt, sinkt die Summe für einen Sozialausgleich nochmals.
Abendblatt:
Ihre Mitbewerber verlangen Zusatzbeiträge von acht Euro und mehr im Monat. Wann erhebt die TK Zusatzbeiträge?
Klusen:
Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Jahr ohne Zusatzbeitrag auskommen. Im nächsten Jahr werden es in jedem Fall mehr Kassen sein als heute, die einen Zusatzbeitrag erheben. Das ist politisch gewollt. Manche Politiker tun so, als sei der Zusatzbeitrag ein Problem der Krankenkassen. Dabei fehlen dem Gesundheitsfonds bereits in diesem Jahr vier Milliarden Euro, die über Zusatzbeiträge finanziert werden sollen.
Abendblatt:
Die Pharmahersteller fürchten, dass sie künftig kein Geld haben, um Medikamente zu entwickeln, weil die Politik und die Kassen ihnen Rabatte abverlangen. Wird die beste Medizin rationiert und nur noch an extra zahlende Versicherte abgegeben?
Klusen:
Unsinn. Die beste Medizin bedeutet nicht das teuerste Präparat. Die Pharmahersteller geben schon heute mehr Geld für Marketing aus als für die Entwicklung neuer Medikamente. Rösler ist auf dem richtigen Weg. Allerdings: Man könnte noch einen Schritt weitergehen. Jede Kasse muss festlegen können, welche Medikamente sie für ihre Versicherten zur Verfügung stellt. Dabei muss sie alle Wirkstoffe abdecken. Wenn ein Produkt zu teuer ist, kann man auf Alternativen ausweichen. Dadurch entsteht ein Druck auf die Pharmaindustrie, über Preise zu verhandeln. Das wäre eine Weiterentwicklung des Rösler-Vorschlages. Rösler nimmt Streit mit der Pharmaindustrie in Kauf. Das zeigt, dass er niemand ist, der nur Lobbyinteressen vertritt.
Abendblatt:
Wo muss in Zukunft im Gesundheitswesen gestrichen werden?
Klusen:
Wir brauchen mehr Wettbewerb im Krankenhausbereich. Bei wählbaren Leistungen und planbaren Operationen wäre es gut, wenn wir nur mit solchen Kliniken Verträge zu schließen bräuchten, die anhand von Kennzahlen eine hohe Behandlungsqualität nachweisen. Fusionen bei Krankenkassen sparen hingegen nicht viel Geld. Sie geben aber den Kassen eine größere Marktmacht, um zum Beispiel bessere Rabatte auszuhandeln. Einsparpotenziale stecken außerdem in der Produktivität einer Kasse. In der TK haben wir dafür eine Produktivitätskennziffer. Sie misst, wie viele Versicherte auf einen Mitarbeiter entfallen. Unsere Maßzahl für dieses Jahr liegt bei 876. Manche Kassen sind erst bei 400.
Abendblatt:
Wann kommt für Ihre Versicherten die neue elektronische Gesundheitskarte, die sparen helfen soll?
Klusen:
Die Tests sind weitestgehend abgeschlossen und wir haben bereits mehrere Tausend Karten in der Startregion ausgegeben. Ich gehe davon aus, dass die Karte nun bald flächendeckend kommt, zumindest für die Stammdaten wie Name, Adresse, Versichertenstatus. Der nächste Schritt ist die Online-Prüfung, wie sie jeder vom Bezahlen mit seiner Bankkarte kennt. Dass mithilfe der elektronischen Gesundheitskarte Arzneimittel- und Krankheitsdaten gespeichert werden, das sehe ich erst in einigen Jahren.