Harmonie sieht anders aus: 100 Tage schwarz-gelbe Koalition in Deutschland sind vorbei. Es gibt noch ungelöste Streitfragen.

Berlin/Hamburg. 100 Tage schwarz-gelben Koalition in Deutschland - das waren auch 100 Tage nicht immer voller Einklang. Viele Streitpunkte haben das Klima getrübt. Die Bündnispartner haben Besserung gelobt und sich mehr Harmonie verordnet. Vor der NRW-Wahl, dem ersten großen Testfall für Schwarz-Gelb, sollen keine großen Entscheidungen mehr fallen, um die Wähler nicht zu verunsichern. Ein Überblick über Verabredungen, Pläne und ungelöste Streitfragen:

STEUERN

Die Steuerpolitik ist der wohl schwerste Brocken für die Koalition. In den ersten 100 Tagen boten Union und FDP hier ein Bild der Zerrissenheit. Vorerst Ruhe brachte die Vereinbarung, zunächst die Steuerschätzung im Mai abzuwarten. Auf deren Grundlage soll über Zeitpunkt und Inhalte der Reform entschieden werden. Das Entlastungsvolumen steht aber: Nach Abzug der 4,8 Milliarden Euro für Familien zu Jahresbeginn verbleiben noch 19,4 Milliarden Euro. Die FDP ist nach langem Widerstand inzwischen bereit, als Startpunkt für die Reform statt 2011 auch das Jahr 2012 zu akzeptieren. Auf jeden Fall muss aus Sicht der Liberalen die volle Entlastungswirkung 2013 erreicht sein. Angesichts massiver Schulden wird die Reform aber weiter für Streit sorgen. Nicht nur Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) fragt sich, wo das Geld herkommen soll. Doch die FDP pocht auf die Einhaltung der Verabredungen. Sie besteht aber nicht mehr auf ein Modell mit drei Steuerstufen, sondern spricht inzwischen von fünf oder mehr Stufen.

HAUSHALT

Bislang ist die Koalition ein Konzept schuldig geblieben, wie sie ihre teuren Vorhaben wie die Steuer- und die Gesundheitsreform finanzieren will. Feststeht: ab 2011 müssen allein zur Einhaltung der Schuldenbremse im Grundgesetz pro Jahr zehn Milliarden Euro gespart werden. Ein Sparpaket soll im Sommer vorgelegt werden - nach der NRW-Wahl. Die FDP hat bereits angekündigt, sämtliche Subventionen kämen auf den Prüfstand. Konfliktpotenzial: hoch.

GESUNDHEIT

Die FDP pocht auf die Einführung einer Pauschale für die Arbeitnehmer - unabhängig vom Einkommen und gemäß Koalitionsvertrag. Die CSU lehnt eine Kopfpauschale vehement ab und macht dies immer wieder deutlich. Die CDU hegt zwar Sympathien für ein Prämienmodell, befürwortet jedoch einen kleineren Wurf als die Liberalen. Minister Philipp Rösler (FDP) bleibt Details bislang schuldig. Eine Kommission soll im Februar eingesetzt werden und in der zweiten Jahreshälfte Vorschläge machen. Dabei geht es vor allem um den Sozialausgleich für Geringverdiener aus Steuermitteln. Dieser würde zwischen 20 und 35 Milliarden Euro kosten, die jedoch nicht vorhanden sind. Inzwischen heißt es in der Koalition, in dieser Wahlperiode werde wohl nur der Einstieg in eine neue Finanzierung geschafft. Nach der Ankündigung zahlreicher Kassen zur Erhebung von Zusatzbeiträgen steigt zudem der Druck, die Ausgaben etwa für Arzneimittel zu begrenzen.

VERTRIEBENE

Der Streit um den freien Sitz im Beirat der Vertriebenenstiftung hängt wie ein Damoklesschwert über der Koalition. Die von Polen abgelehnte Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, ist zum Verzicht bereit, hat dafür aber Bedingungen gestellt. Die Koalition will ihr in begrenztem Umfang entgegenkommen. Gespräche der Fraktionsspitzen mit dem BdV sind für Februar geplant. Die Regierung will ihren Einfluss auf die Besetzung des Rates aber nicht fallenlassen. Bereitschaft gibt es, dem BdV mehr Sitze zuzugestehen. Die CSU nutzt das Thema, um auf die FDP und Westerwelle einzudreschen.

ATOMKRAFT

Um eine Antwort auf die Frage nach längeren Laufzeiten für Atomkraftwerke drückt sich die Koalition bislang mit Verweis auf das für Herbst geplante Energiekonzept. Vor allem aber will sie verhindern, dass Atomkraftskeptiker vor der Wahl in NRW vergrault werden.

ARBEITSMARKT

Die geplante Aufspaltung der 346 Job-Center, die von Kommunen und Arbeitsagenturen gemeinsam betrieben werden, ist der erste große Test für Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). In den nächsten Wochen muss sie eine Lösung mit den Ländern finden - und mit Unions-Fraktionschef Volker Kauder, der vor einem Jahr die Einigung der großen Koalition zu Fall gebracht hatte. Auch die von der FDP abgelehnten Mindestlöhne bieten Konfliktstoff, denn die CDU hält weitere Branchenlösungen für denkbar. Bei Hartz IV will die Koalition mehr Zuverdienst erlauben: Eine praxistaugliche Lösung, die nicht gleichzeitig die Zahl der Hartz-IV-Berechtigten und damit die Kosten nach oben schießen lässt, ist schwierig.

BETREUUNGSGELD

Der Konflikt über die geplante Geldleistung für Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, ist vertagt. Die Entscheidung muss bis 2013 fallen. Kanzlerin Angela Merkel hat eine Lösung versprochen, die den Familien Wahlfreiheit gibt und unerwünschte Effekte vermeidet. Das von CDU und FDP ins Spiel gebrachte Gutschein-Modell stößt bei der CSU auf Ablehnung. Das Thema wird ein Dauerbrenner bleiben.