Auf fast 86 Milliarden Euro wird die Neuverschuldung 2010 steigen. Finanzminister Wolfgang Schäuble hält dies für “bitter“, aber notwendig.
Berlin. Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die historisch hohe Neuverschuldung im Bundeshaushalt 2010 verteidigt. Die geplante Kreditaufnahme von 85,8 Milliarden Euro sei „bitter“, aber notwendig, sagte der CDU-Politiker im Bundestag zu Beginn der viertägigen Haushaltsberatungen. Ziel sei es, die Krisenfolgen zu mildern und den zarten Wirtschaftsaufschwung zu stützen.
Schäuble nannte es einen Irrtum, dass Deutschland die fatalen Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise schon hinter sich habe. Die heimische Wirtschaft komme eben erst aus dem „tiefsten Konjunkturtal“ der Nachkriegsgeschichte. Die Konjunktur-Aussichten hätten sich zwar wieder spürbar aufgehellt. Die Unsicherheit über die künftige Entwicklung sei aber noch groß. „Deshalb bleibt es richtig, dass wir weiter auf Sicht fahren müssen“, sagte Schäuble. „Wir befinden uns tatsächlich noch in einer ernsten und beispiellosen wirtschaftlichen Gesamtsituation.“ Für 2010 und 2011 müsse von einem Anstieg der Arbeitslosigkeit ausgegangen werden. Es sei aber zu hoffen, dass er weniger dramatisch ausfalle als früher.
Bei der Haushaltsdebatte kündigte Schäuble (CDU) auch „schwerwiegende Entscheidungen“ und Einschnitte bei gesetzlichen Leistungen ab dem Jahr 2011 an. Details ließ er erneut offen. Auf die von der Koalition geplanten weiteren Steuersenkungen von bis zu 19,5 Milliarden Euro im Jahr ging Schäuble mit keinem Wort ein.
Noch bis Freitag debattiert das Parlament erstmals über den Etatentwurf für alle Ressorts. Der Umfang neuer Kredite könnte 2010 auf bis zu 100 Milliarden Euro steigen, wenn man neue Schulden für das Konjunkturpaket und den Banken-Rettungsfonds einbezieht. Bis Ende März soll der Etat für das laufende Jahr verabschiedet werden.
Ein stärkeres Wirtschaftswachstum könnte den Schuldenanstieg bremsen. Für 2010 rechnet die Bundesregierung inzwischen mit einem Konjunkturplus von 1,5 Prozent. Das ist etwas mehr als die bisherige Prognose von 1,2 Prozent. Die Regierung bleibt damit zurückhaltender als die meisten Ökonomen. Für den Arbeitsmarkt ist die Regierung optimistischer. Sie rechnet mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahl um durchschnittlich 320.000 auf 3,7 Millionen. Die „Wirtschaftsweisen“ waren von knapp vier Millionen Arbeitslosen ausgegangen.
Die SPD hat in der Debatte über den Bundeshaushalt Schäuble das Fehlen einer klaren Wachstumsstrategie vorgeworfen. Auch die Steuerschätzung im Mai werde nichts daran ändern, dass in den kommenden Jahren kein Spielraum für Steuersenkungen von 20 Milliarden Euro bestehe, sagte der SPD-Abgeordnete Joachim Poß. Die Koalition verfolge „einen bedrohlichen Weg“. Die Politik der „Klientelregierung“ von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde „zur Bedrohung unserer Zukunft“, sagte Poß.
Der Grünen-Abgeordnete Alexander Bonde kritisierte, der Haushalt verstoße gegen das Prinzip der Generationengerechtigkeit. Bei einem Ausgabenvolumen von 325 Milliarden Euro, bei dem allein hundert Milliarden Euro auf Pump finanziert würden, wisse „jeder Mensch, dass das nicht abbaubar ist, wenn man gleichzeitig die Einnahmeseite kaputt macht“. Die Leittragenden seien „unsere Kinder, Enkel und Urenkel“. Bonde warf Schäuble vor, das Steuergeschenk der ermäßigten Umsatzsteuer für Hotel-Betriebe entgegen aller ökonomischen Vernunft durchgesetzt zu haben. Der Finanzminister verstehe zwar etwas von „Vetterle-Wirtschaft“, aber nicht von Wirtschaft.
Die Linken-Abgeordnete Gesine Lötzsch forderte die Bundesregierung auf, den Haushalt zurückzuziehen. Dieser sei „ein Haushalt von Lobbyisten für Lobbyisten“, sagte Lötzsch. „Wir brauchen einen Haushalt der sozialen Gerechtigkeit.“ Die von Schwarz-Gelb angestrebte Steuerentlastung sei „nichts anderes als die Umverteilung von unten nach oben“. Zur Entlastung des Haushalts schlug Lötzsch die flächendeckende Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns vor.