Für den Großteil der Partei kam der Rückzug aus der Doppelspitze mit Gregor Gysi völlig überraschend.
Rheinsberg. Mit großen Auftritten kennt Oskar Lafontaine sich aus. Der 66-Jährige liebt es, politische Entscheidungen zu inszenieren. So auch am Freitag im brandenburgischen Rheinsberg. Eine Dreiviertelstunde zu spät traf Lafontaine bei der konstituierenden Sitzung der neuen Bundestagsfraktion der Linken ein. Dafür, dass er schon vor seiner Ankunft Gesprächsthema Nummer eins war, hatte er selbst gesorgt: Da hatten sich die aus der Linken gestreuten Gerüchte verdichtet, Lafontaine werde nicht für den Fraktionsvorsitz kandidieren.
Die Bestätigung kam erst gegen Mittag. Er habe "seit Längerem die Absicht gehabt", sich auf ein Amt zu konzentrieren, sagte Lafontaine, der auch Parteivorsitzender ist, bei einer Pressekonferenz. Er plädierte dafür, auch künftig Fraktion und Partei mit einer Doppelspitze zu führen: "Dabei sollten sowohl die Frauenquote als auch der Proporz Ost-West berücksichtigt werden." Spekulationen, denen zufolge Lafontaine sich im Bund zurückzieht, um künftig als Fraktionschef im Saarland eine rot-rot-grüne Regierung zu unterstützen, wies er zurück. Es wäre geradezu "fahrlässig", eine solche Entscheidung von einer noch nicht gefällten Entscheidung anderer Parteien abhängig zu machen, sagte Lafontaine: Im Saarland wird erst am Wochenende verkündet, welche Regierungskoalition bald das Land führen wird. Lafontaines Entschluss lässt nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die eigene Fraktion rätseln. Denn selbst für die meisten Abgeordneten kam die Nachricht überraschend. Lafontaine wolle sich auf den Ausbau der Partei im Westen konzentrieren, weil er auf Bundesebene für die nächsten vier Jahre nur wenig Spielraum sehe, heißt es aus Fraktionskreisen.
Andere mutmaßen, Lafontaine wolle als starker Mann im Saarland eine rot-rot-grüne Regierung zum "Referenzprojekt" machen und somit die Macht der Linken auf Bundesebene vergrößern. Anhänger dieser Lesart verweisen auf den Einfluss, den Lafontaine in den 90er-Jahren als Ministerpräsident des Saarlands und SPD-Chef hatte.
Doch diesmal wäre Lafontaine vermutlich nicht einmal Teil der Regierung. Seit Anfang September führt er die elf Abgeordnete starke Fraktion der saarländischen Linkspartei. Er hatte indes stets betont, das Amt nur für eine Übergangszeit zu behalten.
In einer ersten Reaktion zeigten sich vor allem die Grünen im Saarland empört. Landeschef Hubert Ulrich warnte Lafontaine davor, sich als "Neben-Ministerpräsident" unter SPD-Chef Heiko Maas einzurichten. Lafontaines Entscheidung sei ein "Affront" und eine Belastung der Koalitionssondierungen. "Das heißt für die Zukunft eigentlich: nur Probleme, nur Ärger." Lafontaine beweise erneut sein "sehr sprunghaftes Verhalten". Der Schritt sei mit niemandem abgestimmt.
In Rheinsberg gibt es derweil eine dritte Interpretation für den Schritt Lafontaines. Es ginge nicht in erster Linie um die Zukunft des Saarlands, sondern um die SPD im Bund. Eine Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten hat Lafontaine in der Tat erleichtert. Denn tatsächlich ist für viele Genossen der Ex-SPD-Chef das entscheidende Argument gegen eine Öffnung zur Linken. In der SPD gab es sogleich entsprechende Reaktionen. "Lafontaine war ein zentrales Hindernis für einen unverkrampften Umgang mit der Linkspartei im Bund. Das ist nun weg", betonte Ralf Stegner, der Fraktionschef der SPD im Landtag von Schleswig-Holstein.
Lafontaine gab in Rheinsberg allerdings zu erkennen, dass er nicht mit einer baldigen Annäherung an die Linke rechnet, weder vonseiten der SPD noch vonseiten der Grünen. "Die SPD hat kein strategisches Zentrum, die Grünen wissen nicht so recht, wohin sie wollen", sagte Lafontaine vor den Abgeordneten.
Die waren sich darin einig, dass sich Lafontaine offenbar nicht komplett zurückziehen wolle. Er bleibe im Bundestag und werde auch weiterhin "zünftige Reden" halten, witzelte Gysi.
Der muss nun die Fraktion allein weiterführen. Mit 94,7 Prozent wurde er in seinem Amt bestätigt. Zwar lässt die neu beschlossene Geschäftsordnung Platz für einen zweiten Vorsitzenden. Doch darüber soll erst nach dem Parteitag im kommenden Jahr entschieden werden. Dort soll nach Vorstellung der Führung der Linkspartei nicht, wie geplant, die Doppelspitze abgeschafft, sondern eine Nachfolgerin aus dem Osten für den ausscheidenden Vorsitzenden Lothar Bisky gefunden werden. Im Gespräch sind Petra Pau, Dagmar Enkelmann und Gesine Lötzsch, alles verdiente und wenig umstrittene Politikerinnen.