Die geänderte Gesetzeslage hat nicht nur Tücken, sondern räumt auch mit Althergebrachtem auf: Die Ehe als sicheren Versorgungshafen gibt es nicht mehr.
Hamburg. Emma S. war 25 Jahre lang verheiratet, hatte zwölf Jahre lang nicht gearbeitet und zwei Söhne großgezogen. Jetzt kämpft sie um ihren Unterhalt. Nach ihrer Scheidung arbeitet sie halbtags als Rechtspflegerin, wegen schwerer Migräne ist sie zu 50 Prozent behindert. Nach dem Gesetz muss ihr Ex-Mann an sie Krankenunterhalt zahlen; außerdem einen Aufstockungsunterhalt: Ihr Gehalt ist ja weit niedriger als das Einkommen, über das beide in der Ehe verfügten. Die Differenz soll der Aufstockungsunterhalt ausgleichen. Aber wie lange? Von Emma S. wird verlangt, dass sie schnell für sich selbst sorgt.
Ihr Mann, pikanterweise ein Oberstaatsanwalt, behauptet: Sie simuliert die Migräne. Zwei ärztliche Gutachter sprechen dagegen. Die klassische Schlammschlacht deutet sich an. Das Oberlandesgericht Koblenz gab dem Ex-Mann recht: Auch nach 25 Jahren Ehe kann der Aufstockungsunterhalt zeitlich begrenzt werden. Emma S. bekommt nun immerhin unbefristet 404 Euro Krankenunterhalt im Monat - den Aufstockungsunterhalt von 197 Euro aber nur von 2006 bis Ende 2010 (Az.: 7 UF 774/05).
Auch 53-Jährigen muten die Gerichte heute zu, drei Jahre nach der Scheidung wieder für sich selbst zu sorgen. Fälle wie diese zeigen, wie grundlegend sich das Eheverständnis in der Unterhalts-Rechtsprechung gewandelt hat.
Jahrhundertelang war die "Hausfrauenehe" das weibliche Lebensziel des Bürgertums - und eine Heirat in "bessere Kreise" das weibliche Aufstiegsmodell schlechthin. Das ist heute anders: Junge Frauen haben eine bessere Schul- und Berufsausbildung als je zuvor und wollen in der Regel auch in der Ehe weiter arbeiten.
Aber zu glauben, Ehe habe heute nichts mehr mit Versorgung zu tun, ist naiv: Gerade wenn einer der Ehepartner krank wird, Kinder versorgt und damit als Mitverdiener ausfällt, bleiben Ehe und Familie die wichtigste Solidargemeinschaft.
Jetzt ist die Hausfrauenehe zu einem äußerst riskanten Unterfangen geworden. Denn das neue Unterhaltsrecht geht seit 1. Januar von einem anderen Ehe-Typus aus: Beide Partner arbeiten für Lebensunterhalt und Altersversorgung; wer wie lange wegen der Kinder zu Hause bleibt, wird rational durchkalkuliert. Nach einer Scheidung ist vorrangig den Kindern Versorgung garantiert - jeder Elternteil aber soll möglichst bald wieder für sich selbst aufkommen. Auch die Ex-Familienhausfrau hat jetzt prinzipiell eine "Erwerbsobliegenheit".
Ökonomisch ausgewogen ist die Ausgangslage allerdings nicht: Die Frauenerwerbsquote ist im alten Bundesgebiet seit 1977 nur von 46,6 auf heute knapp 60 Prozent gestiegen (in den neuen Bundesländern war sie weit höher). Und dieser Anstieg entfiel zum größten Teil auf Teilzeitbeschäftigungen, die zu 86 Prozent Domäne der Frauen sind. Sie erreichen also statistisch immer noch weit weniger Einkommen als die Männer.
Andererseits hat der Gesetzgeber auf die Klagen der Männerbewegung reagiert: Dass ein Mann seine Ex-Frau auch dann weiter unterhalten soll, wenn sie keine Kinder mehr betreut oder längst mit einem anderen zusammenlebt, wird heute als unbillig angesehen.
Kein Wunder, dass jetzt viele Unterhaltspflichtige ihre Altfälle am liebsten wieder aufrollen und ihre Zahlungen herabsetzen oder befristen würden. Motto: Jetzt muss die Ex aber endlich Vollzeit arbeiten. Die erwartete Prozessflut ist aber bisher ausgeblieben: "Es gibt noch viel Unsicherheit und erst wenige obergerichtliche Entscheidungen", sagt die Solinger Familienrechtlerin Angela Krall. "Da warten viele noch ab, ob sie die Kosten eines Abänderungsverfahrens riskieren wollen." Ähnliches bestätigt der Krefelder Rechtsanwalt Jochem Schausten, der extra eine Hotline für Rat suchende Männer eingerichtet hat. Klärungsbedarf gibt es nämlich an etlichen Fronten.
Wie früh und in welchem Umfang zum Beispiel muss eine geschiedene Frau wieder in den Beruf einsteigen, wenn sie noch Kinder aus der Ehe betreut?
Was ist, wenn die geschiedene Frau trotz eigener Bemühungen keinen Job findet?
Gerade für geschiedene Mütter tun sich in der Praxis Tücken auf. Wohnort, Job und Kita/Schule bilden ein Bermudadreieck, das sie oft festlegt. "Die meisten Frauen wollen ja wieder in den Beruf einsteigen", sagt Karin Damm. "Aber erstens gibt der Arbeitsmarkt das zurzeit noch nicht überall her.
Zweitens: Jeder weiß, dass bei Kindern im Kindergartenalter Probleme auftauchen können, die Mutter muss dann reagieren. Da zieht nicht jeder neue Arbeitgeber mit." Und an einen anderen Wohnort ziehen hieße, alle alten Netzwerke abzubrechen, die für Mutter und Kind(er) hilfreich sind. Nach einem Urteil des OLG Düsseldorf ist es zumutbar, dass eine Mutter 5 bis 6 Stunden täglich arbeitet, sobald ihr Kind in die 2. Grundschulklasse kommt. Kind hinbringen, arbeiten, Kind abholen - das klappt, wenn Wohnung, Schule und Job nahe beieinanderliegen. Aber auf dem Land?
Eine weitere Schlachtfront sind die Hindernisse beim Wiedereinstieg in den Beruf. Ist der Karriereknick der Frau "ehebedingt", d. h. durch eine ehelich gewollte Haushalts- und Kinderpause entstanden? Nur dann wäre der Ex-Mann unterhaltspflichtig.
"Die Rekonstruktion fiktiver Karriereverläufe wird die Gerichte noch intensiv beschäftigen", ahnt Karin Damm.
Das OLG Karlsruhe sah im Fall einer Hochschulabsolventin (1 Kind), die vor der Heirat gleich viel verdiente wie der Mann, nach 19 Jahren Ehe ganz klar einen Karriereknick und lebenslange ehebedingte Nachteile. "Der Frau ist ihr Unterhalt ohne Befristung sicher", sagt Damm. Anders erging es einer ungelernten, 50 Jahre alten Arbeiterin nach 27 Jahren Ehe mit mehreren Kindern: Ihr sprach das OLG Bremen nur einen auf drei Jahre befristeten Unterhalt zu - danach muss sie auf eigenen Beinen stehen.
Zwar sollen die Familiengerichte neben der Dauer der Ehe auch einen "Vertrauensschutz" berücksichtigen. Soll heißen: Die Partner hatten ja noch im Vertrauen auf eine günstigere Unterhaltsregelung geheiratet. Auch nach der Scheidung soll der Schwächere Anspruch auf "nacheheliche Solidarität" haben.
Ein Richter hielt es jedoch für angemessen, den Krankheitsunterhalt einer schwerbehinderten Frau nach 27 Ehejahren auf zwei bis drei Jahre zu befristen. "Da schlägt die Waage nach meiner Meinung zu stark in die falsche Richtung aus", sagt Rechtsanwalt Schausten. "Bei nur zehn Ehejahren könnte man das anders bewerten. Aber hier müsste es mehr nacheheliche Solidarität geben."
Das neue Unterhaltsrecht verändert unser kulturelles Eheverständnis fundamental. Geschiedene, die ihre Familie vor allem mit Zeit und Betreuung versorgt haben, werden selbst behandelt wie Reisende, die nur zeitweise neben dem Mann geparkt haben - und nun geräuschlos ins alte Leben zurückkehren.
Das heißt: Eine junge Frau, die sich auf ihr erstes Kind freut, muss sich gleichzeitig schon mal vorab über ihren möglichen Status nach einer Scheidung informieren. Sonst ist sie geradezu sträflich naiv.
Verlierer des neuen Unterhaltsrechts sind weniger die jungen, gut ausgebildeten Frauen, meint Karin Damm: Sie können vor der Heirat in einem Ehevertrag eine partnerschaftliche Kinderbetreuung vereinbaren, mit Betreuungszeiten für beide . Sie können auch vorab festlegen, wie lange im Fall einer Scheidung wer wem Unterhalt zahlt.
Eng wird es für Mütter, deren Ex-Mann nach einer weiteren Scheidung noch eine weitere Frau und Kinder unterhalten muss. Denn der Unterhalt für die Kinder geht immer vor. Verlierer Nummer eins aber sind ältere Frauen, die vor längerer Zeit in gutem Glauben an die Hausfrauenehe geheiratet haben. "Sie sollen nach der Scheidung jetzt eine gewünschte gesellschaftliche Wirklichkeit leben, die es für sie noch nicht gab", sagt Karin Damm.