Kanzlerin Merkel verschiebt ihre Abreise um etwa zwölf Stunden. Griechenland bringt wohl Choreographie des G20-Gipfels durcheinander.
Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel verschiebt ihre Abreise zum G20-Gipfel in Mexiko am Sonntag um etwa zwölf Stunden. Aus Regierungskreisen verlautete am Donnerstag, die Verschiebung habe „terminliche und reisetechnische“ Gründe. Merkel wollte ursprünglich am Mittag abfliegen. Die Schuldenkrise in Europa ist ein wichtiges Thema auf dem G20-Gipfel im mexikanischen Ferienort Los Cabos. Das Treffen findet am Montag und Dienstag statt.
Die Wahlen in Griechenland sind zwar erst an diesem Sonntag. Aber Wirkung zeigen sie wohl schon vorher. Vielleicht um unmittelbar auf Ergebnisse aus Athen reagieren zu können, verschiebt Bundeskanzlerin Angela Merkel den Abflug zum G20-Gipfel in Mexiko weit nach hinten. Offiziell wurden aus dem Kanzleramt keine Gründe bekannt. Möglicherweise will die Kanzlerin einfach nur wegen der vielen drängenden Probleme Zuhaus und in Europa nicht allzu viel Zeit auf Reisen verbringen.
Im Grunde sind die Griechen zum zweiten Mal binnen sechs Wochen aufgerufen, ob sie den Euro behalten wollen. Haben Gegner des Spar- und Reformprogramms künftig in Athen das Sagen, droht dem Land der Bankrott und der Weltwirtschaft ein erneuter Schock.
Das weiß auch der mexikanische Präsident Felipe Calderón, der die Staats- und Regierungschefs der stärksten Volkswirtschaften der Erde (Gruppe der 20/G20) nach Los Cabos, einem beliebten Badeort an der Pazifikküste eingeladen hat. Und natürlich wird die Euro-Schuldenkrise in all ihren Facetten – Griechenlands Pleite, Spaniens Schrott-Banken, Italiens Rezession – die Debatten beherrschen und die Europäer in Erklärungsnot bringen.
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Ob die USA, China, Brasilien oder Australien – sie werden das Krisenmanagement auf dem alten Kontinent zerpflücken und vor allem die Bundeskanzlerin meinen. Insbesondere der um seine Wiederwahl kämpfende US-Präsident Barack Obama sieht die Europäer in der Pflicht, endlich aufzuräumen.
Schon der G20-Gipfel in Cannes im vergangenen November wurde durch die Hellas-Krise durcheinandergewirbelt. Damals funktionierte aber noch die Achse Paris-Berlin. Nun muss sich Merkel mit dem mächtigen Sozialisten François Hollande herumschlagen, der den konservativen Nicolas Sarkozy bei den Präsidentenwahlen im April geschlagen hatte.
Der Machtwechsel in Paris ist nicht gerade hilfreich für die Unterhändler der Kanzlerin, die der Dauer-Eurokrisen-Prügel im Kreis der G20 gern ein Ende setzen und wieder andere Akzente setzen wollen. Berlin ist die ständigen Belehrungen, so ist aus der Regierung zu hören, leid – zumal viele der Kritiker nicht besser dastünden.
Die Debatte dürfe sich nicht nur um die Risiken der Eurozone drehen. Europäern könne nicht allein die Schuld für die Schwächephase der Weltwirtschaft zugeschoben werden, wird in Berlin betont: „Die Verantwortung liegt auf vielen Schultern.“ Und auch folgende Mahnung wird nachgeschoben: Die Rolle Deutschlands – letzter Stabilitätsanker – dürfe nicht gefährdet werden.
Die Deutschen wollen auf jeden Fall zur Sprache bringen, dass auch außerhalb der Eurozone ökonomisch viel gesündigt wird: Hohe Staatsschulden in den USA und Japan, künstlich niedrig gehaltene Wechselkurse Chinas sowie eine zunehmende Abschottung der Märkte im Welthandel gegen Konkurrenten.
Letztlich überdeckt der Streit über die Euro-Schuldenkrise das eigentliche Dilemma der G20, die sich selbst zum wichtigsten Lenkungsgremium für die Weltwirtschaft erklärt haben. Gut dreieinhalb Jahre nach dem ersten Krisen-Gipfel in Washington im November 2008 sind viel im Scheinwerferlicht verkündete Ziele schlicht Bekenntnisse geblieben, eine konsequente Umsetzung lässt auf sich warten. Der Druck ist weg, die Welt vor dem wirtschaftlichen Kollaps wie nach der Pleite der US-Bank Lehman Brothers im September 2008 zu retten. Auch wenn die Eurozone ein schwer zu löschender Brandherd bleibt.
Nationale Egoismen nehmen wieder zu. Längst entwickelt sich mit den „BRICS“-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, die auch der G20 angehören, ein selbstbewusstes Gegengewicht zu den „Alt-Mächten“ – mit sehr eigenen Interessen. Das zeigt nicht nur der Streit um mehr Einfluss beim IWF. Vieles sieht aus, wie für die Galerie gespielt – beispielsweise immer neue Aktionspläne für mehr Wachstum. Auch der „Los Cabos Action Plan“ wird kaum Akzente setzen.
Krasses Beispiel für verfehlte Vorgaben ist die Sanierung der Staatskassen. Auf dem Toronto-Gipfel wurde vollmundig vereinbart, bis 2013 sollen die G20 ihre Defizite halbieren und den Staatsschulden abbauen. Davon sind die meisten G20-Länder entfernter denn je.
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Lücken gibt es auch bei Aufsicht und Kontrolle der Finanzmärkte. Strengere Regeln für sogenannte Schattenbanken und undurchsichtig operierende Institute lassen ebenso weiter auf sich warten wie weltweit ähnliche Vorschriften, wie angeschlagene Großbanken saniert und notfalls abgewickelt werden können.
So muss sich Gastgeber Mexiko den Vorwurf gefallen lassen, zu sehr auf neue und auf Rand-Themen gesetzt zu haben, statt Ziele früherer Gipfel energisch voranzutreiben. Zu den vielen Vorbereitungstreffen der Arbeits-, Wirtschafts-, Außen-, Handels- und Tourismusministern heißt es, die Mexikaner hätten ihr Programm etwas breit aufgestellt.
Auch wäre für manche Regierung eine späterer Gipfeltermin – meist in der zweiten Jahreshälfte – besser gewesen. Aber am 1. Juli werden in Mexiko ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt. Mit den Mächtigen der Welt zu Gast will Calderón wohl nochmals glänzen. (dpa/Reuters)