Nach monatelangem Koalitionsstreit soll das Betreuungsgeld in dreieinhalb Wochen durch den Bundestag gebracht werden – doch Proteste bleiben.
Berlin. Vor dem Kanzleramt hatten sich Jungsozialisten und Grüne Jugend in Dirndl gezwängt. Die gut 50 Protestler mit Schürzen und Bügeleisen warnten: „Mit der Herdprämie Betreuungsgeld zurück zum Frauenbild der 50er Jahre.“ Überlebensgroße Puppen sollten die Kanzlerin und die Familienministerin symbolisieren, die nach der Pfeife von CSU-Chef Horst Seehofer zu tanzen hätten.
Monatelang war auch koalitionsintern erbittert über Nutzen oder Schaden des Betreuungsgeldes für daheim erziehende Eltern gestritten worden. Am Mittwoch, am Kabinettstisch, war dann nach knapp 15 Minuten zunächst einmal alles vorbei. Im Schnelldurchgang billigte die Regierung die 43-seitige „Formulierungshilfe“ von Familienministerin Kristina Schröder (CDU).
+++ Umfrage: Die Mehrheit lehnt "Herdprämie" ab +++
Von den Koalitionsfraktionen soll die Vorlage jetzt als Gesetzentwurf in einem beschleunigten Beratungsverfahren durchs Parlament gebracht werden. Aber selbst wenn es gelingen sollte, das Betreuungsgeld-Gesetz noch vor der Sommerpause des Bundestages am 29. Juni in dritter Lesung zu verabschieden – eines ist sicher: Der Streit ist noch lange nicht vorbei.
Hamburg lässt per Rechtsgutachten für die SPD-Länder prüfen, ob das Betreuungsgeld nicht doch noch im Bundesrat zu Fall gebracht werden kann. Denn ein wenig kühn mutet schon an, dass die Bundesregierung das strittige Vorhaben für nicht zustimmungspflichtig erklärt – um so die befürchtete Blockade der SPD-Länder im Bundesrat zu umgehen.
+++ Hamburg soll die "Herdprämie" doch noch aufhalten +++
Aber es sind Interessen der Länder tangiert, die für die frühkindliche Bildung zuständig sind. Und von den Kommunen wird zudem Mehrarbeit verlangt. Sie sollen schließlich das Betreuungsgeld über ihre Elterngeldkassen organisatorisch abwickeln.
Auch die Verfassungsjuristen sitzen auf beiden Seiten schon in den Schützengräben. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages vertritt in seinem Betreuungsgeld-Gutachten „Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht“ eine eher abwägende „Einerseits-andererseits“- Position. Eindeutiger beziehen dagegen zwei andere Gutachten gegen das Betreuungsgeld Stellung – eins wurde von den Grünen in Auftrag gegeben, das andere von der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung.
Beide Gutachten sehen übereinstimmend Artikel 6 und Artikel 3 des Grundgesetzes tangiert. Bei dem einen geht es um den Schutz der Familie, beim anderen um das Verfassungsgebot, auf die tatsächliche Gleichberechtigung von Frauen und Männern hinzuwirken. Argumentiert wird, dass ein Betreuungsgeld hauptsächlich von Frauen in Anspruch genommen würde, da nur wenige Männer für ein „Betreuungsgehalt“ von 150 Euro zu Hause bleiben würden.
Der Nachteil aller drei Gutachten ist, dass sie abgefasst wurden, bevor der Gesetzentwurf vorlag. Nun wird es neue Gutachten geben. Still geworden ist es um die 23 Betreuungsgeld-Rebellen aus der Unionsfraktion, die vor einigen Wochen noch offen drohten, im Bundestag gegen das Gesetz zu stimmen. Nur die CDU-Frauenpolitikerin Rita Pawelski bekundete gegenüber der WAZ-Zeitungsgruppe, auch weiter gegen das „Seehofer pur“-Gesetz stimmen zu wollen – weil es gerade für problematische Familien den falschen Anreiz setze, ihre Kinder nicht in eine Kita zu schicken.
+++ Horst Seehofer setzt die Koalition unter Druck +++
Noch vor der ersten Lesung im Bundestag am 15. Juni will die Gruppe der Frauen in der Unionsfraktion ihre Haltung festlegen. Doch vor allem CSU-Politiker argumentieren, dass erst das Betreuungsgeld Eltern echte Wahlfreiheit garantiere, ihr Kleinkind zuhause selbst zu betreuen – oder in eine Kita oder zu einer Tagesmutter zu geben. Ein Problem ist nur, dass es zur echten Wahlfreiheit bislang noch an ausreichend Betreuungsplätzen mangelt.
Der bereits 2008 verabschiedete Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot für unter Dreijährige soll zum 1. August 2013 wirksam werden. Aber in vielen Kommunen herrscht Skepsis, ob sich in den verbleibenden 14 Monaten tatsächlich die noch mindestens fehlenden 160 000 Plätze schaffen lassen. Trotz des jüngsten Zehn-Punkte-Plans der Bundesfamilienministerin – den im übrigen überwiegend die Länder umzusetzen haben.