Brüssel. Anstelle der Rettungs-Wurstelei soll Griechenland umfassende Hilfe für ein mehrjähriges Sanierungsprogramm bekommen.
Das G-Wort ist in aller Munde, nun auch bei denen, die vom Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion nie etwas wissen wollten. „Ich bin nach wie vor höchst allergisch gegen jede Vorstellung, die mit Grexit in Zusammenhang gebracht werden könnte“, beteuerte der Brüsseler Kommissionschef und unerschütterliche Griechenfreund Jean-Claude Juncker nach dem jüngsten Krisentreffen der Euro-Oberen. „Aber ich kann das nicht endgültig ausschließen.“ Auch im x-ten Anlauf habe man keine Übereinkunft mit dem griechischen Premierminister Alexis Tsipras erzielt, die Kommission sei auch für das endgültige Scheitern gerüstet. „Wir haben ein Grexit-Szenario ausgearbeitet.“
Juncker war nicht der einzige, der nach den beiden Krisenrunden – erst Euro-Finanzminister, dann Staats- und Regierungschefs – düstere Töne anschlug. Gipfel-Präsident Donald Tusk sprach vom „vielleicht kritischsten Moment in unserer Geschichte; unsere Unfähigkeit, eine Übereinkunft zu finden, kann zum Bankrott Griechenlands und zur Zahlungsunfähigkeit führen.“ Es blieben noch fünf Tage, „das schlimmste Szenario“ abzuwenden.
Es ist ein extrem enger Zeitplan. Er soll Griechenland einerseits eine wirtschaftliche Erholung ermöglichen, die Bestand hat, andererseits aus der unmittelbaren Not helfen: Zahlungsverpflichtungen der Staatskasse, Geldknappheit der Banken, Versorgungsengpässe bei einigen lebenswichtigen Gütern. Adressat des Hilfeersuchens ist der Schutzschirm ESM, der 2012 eingerichtet wurde, um Erschütterungen der Euro-Zone abzufangen. Geld hat der Fonds reichlich: Das verfügbare Ausleihvolumen beläuft sich derzeit auf mehr als 450 Milliarden Euro, Deutschland garantiert knapp 27 Prozent der Einlagen.
Geld nur „Unter strengen Auflagen“
Das Problem sind die Voraussetzungen. Geld gibt es nur „unter strengen Auflagen“. Die haben Griechenlands Bürger bekanntlich soeben in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit abgelehnt. Dennoch reichte der neue Finanzminister Euklid Tsakalotos am Mittwoch einen Antrag ein. Die Höhe des benötigten Betrags ließ er offen, versicherte aber, sein Land werde mit „einem umfassenden Paket aus Reformen und Maßnahmen“ für einen soliden Haushalt, finanzielle Stabilität und Wachstum sorgen. Schon Anfang nächster Woche werde man sich das Renten- und Steuersystem vornehmen. Eine genaue Aufstellung der Reformagenda in dem auf drei Jahre angelegten Programm will Tsakalotos am heutigen Donnerstag nachreichen.
Leitartikel: Kein Schlussstrich unter Griechenland
Als Ankündigung entspricht das den Anforderungen. Es dürfte auch in den Ohren der Kreditgeber besser klingen als die vagen Ausführungen über „einen produktiven und fairen Kompromiss“, die Tsipras zuvor im Europa-Parlament abgeliefert hatte. Mit Bravo-Rufen aus dem Lager der Linksradikalen war der Athener Regierungschef hier am Mittwochmorgen begrüßt worden; auch Rechtsextreme und Euroskeptiker empfingen ihn mit Applaus.
Die Schlüsselfrage ist, ob das Athener Programm von den mittlerweile hoch misstrauischen Partnern tatsächlich als detailliert, realistisch und glaubwürdig gewertet wird. Das sollen zunächst Experten der „drei Institutionen“ (EU-Kommission, Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds) sowie die Euro-Finanzminister prüfen, bevor dann am Sonntag der Gipfel den Daumen hebt oder senkt. Und zwar nur bezüglich der Frage, ob es Zweck hat, in die eigentlichen Verhandlungen über das Hilfsprogramm einzusteigen. Vor dem tatsächlichen Start müsste sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zudem im Bundestag ein Mandat besorgen. „Wir brauchen jetzt ein mehrjähriges Programm, das weit über das, was wir noch vor zehn Tagen diskutiert haben, hinausgeht“, sagte Merkel in Brüssel.
Erleichterungen möglich, Schuldenschnitt wird abgelehnt
Dafür müsse Griechenland auch Reformen anpacken, von denen zuletzt kaum mehr die Rede war: Arbeitsmarkt, überteuerte Produkte, Privatisierungen. Außerdem wird von Tsipras verlangt, dass er für seine Reformagenda die Rückendeckung des Athener Parlaments organisiert. Erst wenn das alles gewährleistet ist, will die Kanzlerin über das Reizthema Schulden mit sich reden lassen. Und zwar nach der Devise: Erleichterungen im Schuldendienst sind möglich, ein Schuldenschnitt geht aber gar nicht: „Haircut ist verboten!“ Eine überzeugende Selbstverpflichtung zur Reparatur der vielen strukturellen Defekte in der griechischen Wirtschaft soll auch Vorbedingung für eine „Brückenfinanzierung“ zur Abdeckung der unmittelbaren Finanzverpflichtungen sein. „Die Reihenfolge ist klar“, sagte Merkel. „Erst die langfristigen Vorschläge, dann die Bereitschaft, über kurzfristige Mechanismen zu reden.“
Der Gipfel am Sonntag ist zweiteilig angelegt: Erst treffen sich die Chefs der 19 Euro-Länder, dann wird der Kreis auf alle 28 Mitgliedsstaaten erweitert. Auch das ist ein Indiz für die geschwundene Hoffnung, doch noch einen Deal hinzubekommen. Mehrere Regierungen von Ländern außerhalb der Euro-Zone haben bei Tusk ausdrücklich den Wunsch nach Teilnahme angemeldet, weil von den Folgen eines Grexit alle betroffen sein könnten.