In Athen ermuntert Außenminister Frank-Walter Steinmeier die Politiker des krisengeschüttelten Landes, den Weg der Reformen nicht zu verlassen.
Athen. „Viele Anzeichen“ gebe es für eine leicht bessere Situation in Griechenland, sagt Frank-Walter Steinmeier. Die „immer noch zu hohe Arbeitslosigkeit“ streift er kurz, um dann das „gute Tourismusjahr“ 2013 zu erwähnen. Die Konsequenz aus alldem: „Der Weg der begonnenen Reformen darf nicht abgebrochen werden.“
Der deutsche Außenminister steht am Freitagvormittag vor dem Amtssitz des griechischen Ministerpräsidenten, hinter ihm tragen Zitronen- und Orangenbäume ihre volle Pracht. Eben hat Steinmeier sein Gespräch mit Regierungschef Antonis Samaras in dessen Büro beendet. Mehr Geld für Griechenland? Ein neues Hilfspaket? Die Idee eines Altschuldentilgungsfonds? Oder gar Euro-Bonds? Von alldem mag der sozialdemokratische Außenminister nicht reden.
Steinmeiers Worte klingen eher nach Angela Merkel als nach den Parolen im SPD-Wahlkampf, geschweige denn zwischenzeitlichen Rufen vom linken Parteiflügel. Der Außenminister mag den Griechen etwas ausführlicher Respekt zollen für den eingeschlagenen Weg der Reformen als die Kanzlerin, öfter von Solidarität reden – aber einen großen neuen Wurf oder neue Anstrengungen der Europäer verlangt er nicht.
Samaras und sein sozialistischer Vizepremier Evangelos Venizelos hätten „beiden den Mut und die Entschiedenheit, den beschrittenen Weg weiterzugehen“, sagt Steinmeier nach seinem Sechs-Augen-Gespräch. Er äußert seinen Respekt für die Zumutungen, die die griechische Regierung ihrem Volk abverlangt. Samaras und Venizelos wüssten schließlich um die „politischen Risiken für sich und ihre Parteien“.
In Griechenland ist die Europawahl (25. Mai) präsenter als in Deutschland. Es wird zudem in den Kommunen gewählt. Längst herrscht Wahlkampf. Und Steinmeier, einst Architekt der Agenda 2010, weiß: Das Volk bestraft Reformer. Und der Frust ist groß in Griechenland. Viel größer als einst in Deutschland zu dessen Zeit als „kranker Mann Europas“. Doch damals, vor zehn Jahren, bei der Europawahl, stürzte die SPD auf 21 Prozent ab – es war eine Reaktion auf die mutigen Arbeitsmarktreformen, die Kanzler Gerhard Schröder und Steinmeier initiiert hatten.
Ein solches Debakel droht vor allem den griechischen Sozialisten im Mai. Die einst stolze Pasok liegt in Umfragen bei fünf Prozent. Ihr Vorsitzender Venizelos steht deshalb unter extremem Druck, poltert zuweilen gegen die europäischen Partner, forderte erst am Mittwoch mehr Hilfen ein, um dann – nach dem Gespräch mit Steinmeier – am Donnerstagabend deutlich moderatere Töne anzustimmen.
Die Europawahl könnte den Populisten von links und rechts in Griechenland Stimmengewinne bescheren. Oppositionsführer Alexis Tsipras kann mit seiner linkssozialistischen Syriza hoffen, stärkste Partei zu werden. Sollte dann die konservativ-sozialistische Regierung in Athen mit ihrer knappen Parlamentsmehrheit auseinanderfallen? Ausgeschlossen ist das nicht. Auch für Europa wäre das ein Debakel, Athen bildet seit 1. Januar die EU-Ratspräsidentschaft. Steinmeier aber vermeidet es, den Griechen in ihrer nach wie vor prekären Lage Illusionen oder Versprechen zu machen. Im Gegenteil. Er ruft zu Disziplin auf, warnt davor, mehr Geld zu verlangen. „Ich kann nur raten, in der griechischen Öffentlichkeit nicht über Hilfspakete zu diskutieren. Das würde nur die griechischen Reformen infrage stellen“, sagte der deutsche Außenminister nach einer Unterredung mit seinem Amtskollegen Venizelos.
Als Steinmeier die „anspruchsvolle Reform-Agenda“ und deren erste Früchte würdigte, nickte Venizelos zustimmend. Regungslos verharrte der Vizepremier, als Steinmeier sagte, er setze darauf, dass die Regierung den Weg der Reformen zu Ende geht. Er definiert den „ersten Teil des Weges“, den Griechenland bislang gegangen ist, gewiss bescheidener als Venizelos, der so tut, als habe sein Land den Marathon weitgehend absolviert, und es seien nur noch wenige Meter zurückzulegen.
Von den einst kühnen Forderungen nach mehr Geld für Griechenland, die in der SPD erhoben wurden, ist bei Steinmeier keine Rede mehr. Mehr Zeit, mehr Rücksicht, mehr Hilfen – all dies hatten deutsche Sozialdemokraten noch vor wenigen Wochen verlangt. Als SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück vor nicht einmal einem Jahr in Athen weilte, warnte er, die Sparauflagen könnten sich als „tödliche Dosis“ entpuppen.
Er verlangte nach einem großen Wurf, ohne indes sagen zu können, woraus der denn bitte schön bestehen sollte. Steinbrück wollte sich auf diese Art und Weise nicht zuletzt von Kanzlerin Merkel abgrenzen. Doch auch Steinmeier hatte einst gemeinsam mit Steinbrück in einem Aufsatz in der „Financial Times“ für eine teilweise Vergemeinschaftung von Schulden plädiert.
Die „begrenzte Einführung von europaweiten Anleihen auf mittlere Sicht, begleitet von einer besser abgestimmten Fiskalpolitik“, verlangte Steinmeier im Jahre 2010.
Tempi passati. Heute stellt sich Steinmeier in die Tradition der deutschen Europa- und Außenpolitik. So ist es üblich in Deutschland. Hinzu kommt: Der Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD sieht keinerlei Schuldenfonds oder vergleichbare Instrumente vor. Doch an Ideen mangelt es Steinmeier dabei nicht. Eine Investitionsbank nach Vorbild der deutschen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) etwa sähe er gern in Griechenland. Die meisten Sozialdemokraten hätten in den vergangenen Jahren derlei Vorstöße als Placebo-Projekt verspottet.