Die Gewalt nimmt zu auf See. Politiker und Fachleute streiten über Wirksamkeit der Militäreinsätze gegen die Räuber der Meere.
Hamburg/Kuala Lumpur. Ungeachtet aller Anstrengungen der Staatengemeinschaft hat sich die Zahl der Piratenüberfälle in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zum Vorjahr von 114 auf 240 mehr als verdoppelt. Das Internationale Schifffahrtsbüro (IMB) registrierte 136 Überfälle im zweiten Quartal 2009 gegenüber 104 im Vorjahr.
Insgesamt wurden 561 Besatzungsmitglieder als Geiseln genommen, 19 wurden verletzt und sieben entführt. Sechs Crew-Mitglieder wurden von den Piraten getötet, acht Seeleute werden immer noch vermisst. Meistens griffen die Piraten mit Schuss- und Stichwaffen an, erklärte das IMB, das zur Internationalen Handelskammer gehört, und warnte: "Die Gewalt gegenüber den Besatzungen nimmt weiter zu."
Dennoch erschwert der internationale Schutz den Piraten das Handwerk. Einige weichen inzwischen von der Ostküste Somalias auf andere Seegebiete aus. Doch die Wirksamkeit des Schutzes ist umstritten. "Effektiv ist das jetzige Vorgehen nicht", sagte die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Birgit Homburger, dem Abendblatt. Die Erweiterung des Operationsgebietes im Juni 2009 sei zwar sinnvoll gewesen, aber nicht ausreichend. "Deutsche Soldaten sollen den Piraten in einem zu kleinen Gebiet nicht hinterherwinken müssen", sagte Homburger. Sie fordert eine bessere Koordinierung zwischen den Nationen.
Notwendig sei auch eine einheitliche Regelung, wie mit festgenommenen Piraten verfahren werden soll. Das Ziel der Piratenbekämpfung müsse die politische Stabilisierung der Region sein; man müsse die Ursache, nicht die Symptome bekämpfen.
Die FDP-Politikerin appellierte an die Reeder, sich gesicherten Konvois anzuschließen; sonst drohe die Gefährdung von Besatzungen - bei gleichzeitiger Finanzierung der Piraten. Sie wies darauf hin, dass derzeit mehr als 40 Schiffe aus 21 Nationen in vier verschiedenen Missionen in dieser Seeregion gegen Piraten vorgingen. Dazu kämen 13 Schiffe unter nationalem Kommando. Die EU-Mission "Atalanta" sorgt für den Schutz vor Ost-Somalia.
Max Johns vom Verband Deutscher Reeder (VDR) sagte dem Abendblatt, der Marineeinsatz gegen die Piraten sei sehr sinnvoll und auch effektiv - eine Ausweitung sei aber "wünschenswert". "Die reine Präsenz der Einheiten leistet schon einen großen Beitrag zur Abschreckung", meinte Johns. Der VDR empfiehlt seinen Mitgliedern ausdrücklich, sich nicht nur bei der EU-Operation "Atalanta" anzumelden, sondern auch die Sicherheitsberatung durch das "Maritime Security Center Horn of Africa" zu nutzen. Diejenigen, die sich nicht bei "Atalanta" anmeldeten, seien "tendenziell nicht aus Deutschland", betonte VDR-Sprecher Johns. "Warum melden sich manche Reeder nicht an?", fragte dagegen Kapitänleutnant Uwe Sonntag vom Bundeswehrverband, Vorstand Marine, und fügte die Frage hinzu: "Warum zahlen Reeder hohe Lösegelder und unterstützen die Piraten?"
Sonntag erklärte, die Marinemission der EU sei notwendig, da Deutschland vom Seehandel stark abhängig sei. Ähnlich wie Homburger wertet der Kapitänleutnant die internationale Zusammenarbeit aber als "verbesserungswürdig".
Die Seeraumüberwachung durch die Marineeinheiten sei allerdings sehr gut.
Sonntag forderte, der Marine müssten die notwendigen Mittel für die Einsätze zur Verfügung gestellt werden.