Die Überfälle vor der afrikanische Küste sind eine Geldquelle - für Piraten und für Sicherheitsfirmen: Die organisierte Kaperkriminalität ruft professionelle Berater auf den Plan.
Hamburg. Die Projektionswand im Konferenzraum zeigt eine Landkarte: Puntland steht dort, Kismayo, Haradhere Hobyo, Somaliland - die Fragmente des zerfallenen Staates Somalia. Rund um das Horn von Afrika markieren farbige Symbole das Wachstumsfeld der somalischen Barfußpiraten - die Orte von Kaperungen, von gescheiterten Angriffen, von Attacken, über deren Hintergrund noch nicht genügend bekannt ist.
"In den vergangenen Monaten setzt sich in der Öffentlichkeit die Legende fest, die Piraterie sei eine Folge der illegalen Fischerei der Industriestaaten vor Somalia", sagt Hans Tino Hansen. "Ich sage ihnen: Mit verarmten Fischern haben die Piraten nichts zu tun. Das sind lupenreine organisierte Kriminelle."
Hansen steht vor einem Publikum von 25 Menschen in einem Raum des Hamburger Hotels Steigenberger, vor allem Mitarbeiter von Schifffahrtsunternehmen, und erklärt, was er und seine Kollegen tun. Im Jahr 2001 hat der Däne - ehemals Berufsoldat und später Unternehmensberater - seine Firma gegründet und sie schrittweise auf die maritime Wirtschaft konzentriert. "Risk Intelligence" bedient Kunden aus allen Teilen der Schifffahrtsbranche, aber auch Ministerien, Verbände und Organisationen. Hansen und seine 14 Mitarbeiter in verschiedenen Ländern liefern Informationen, Analysen, Risikoprofile. Wie entwickeln sich die Aktivitäten der Piraten, welche Reichweiten und Ausrüstungen besitzen sie, mit welchen Methoden gehen sie vor? Wie hoch ist das Risiko für ein bestimmtes Schiff auf einer bestimmten Route einzuschätzen? Und was ist zu tun, wenn es zum Äußersten kommt, der Kaperung eines Schiffes und Geiselnahmen?
Das Geschäft der kleinen Firma läuft gut. Das liegt unter anderem daran, dass sich die Zahl der Piraten, die vor Somalia operieren, seit 2007 vermutlich verdreifacht hat. 17 Handelsschiffe mit insgesamt rund 300 Besatzungsmitgliedern sind nach Schätzung des Internationalen Seegerichtshofs derzeit in der Hand der Kriminellen. Die Kaperbanden haben den Engpass am Golf von Aden - ein Nadelöhr auf der wichtigsten Handelsroute der Welt - als lukrative Geldquelle entdeckt. Je mehr Lösegeld die Reedereien zahlen, desto mehr Somalier oder auch Jemeniten steigen in das neue Betätigungsfeld ein. Nur rund 10 000 bis 20 000 Dollar kostet laut Hansen das Anheuern einer Piratentruppe. Mit der Kaperung eines Schiffes und seiner Besatzung können diese Leute für ihre Hintermänner leicht mehrere Millionen Dollar erpressen. Die Bosse, oft die Oberhäupter der lokalen somalischen Clans, finanzieren und steuern ihre Aktionen häufig aus anderen Ländern heraus, weiß Hansen, etwa aus Dubai, Großbritannien oder Kanada.
Die internationale Aufmerksamkeit ruht derzeit auf Nordostafrika, wo rund 30 Kriegsschiffe - darunter ein Verband der EU - vordringlich die Frachter mit Hilfslieferungen für Somalia beschützen. Aber nicht nur dort treiben die Banditen ihr Unwesen, auch die Küste des ölreichen Nigeria in Westafrika entwickelt sich im Hinblick auf Piraterie immer mehr zum Problem. Die Straße von Malakka wiederum, seit jeher berüchtigt für Piraterie, gilt derzeit als relativ befriedet.
Die Berater von Risk Intelligence haben alle Hände voll zu tun. Gerade hat das Unternehmen eine Niederlassung in Hamburg eröffnet. "Die Stadt ist einer der wichtigsten Schifffahrtsstandorte der Welt", sagt Dirk Steffen, der das neue Büro leitet. "Es macht für uns natürlich Sinn, hier zu sein." Der frühere Marinesoldat und Unternehmensberater arbeitet seit 2008 für Risk Intelligence. Sein Spezialgebiet ist Nigeria, er kennt die Region und den Kampf gegen die Piraterie dort aus eigener Anschauung. "Allein mit Nigeria wären wir voll beschäftigt. Aber der Fokus liegt derzeit natürlich auf Ostafrika", sagt er. Vier zusätzliche Berater will das Unternehmen einstellen.
Vor der Videowand erklärt Steffen die Taktiken, mit denen Piratentrupps und ihre Mutterschiffe arbeiten, die Ausrüstung, die Abläufe von Kaperungen. 1000 bis 1300 Euro am Tag kostet die professionelle Beratung von Risk Intelligence. Ein "full security risk assessment", eine Risikoanalyse für ein bestimmtes Schiff auf einer bestimmten Route, dauert inklusive Bordbesuch des Beraters sechs bis neun Tage. "Die Reisekosten gehen extra", sagt Steffen. Die Analysen gibt es auch in weniger umfangreicher Form vom Tisch aus. Zudem können die Kunden des Unternehmens ein Internetportal mit Informationen zur Sicherheitslage in den von Piraterie bedrohten Gebieten nutzen.
Nicht alle Profis der maritimen Wirtschaft allerdings schätzen die Blüte der Anti-Piraterie-Beratung. "Wir halten nicht so viel davon, mit eigenen Sicherheitsanalysen und mitunter auch gefährlichem Halbwissen den Sicherheitsprofis Konkurrenz zu machen", sagt Stefan Bülow von der Hamburger Reederei John T. Essberger bei einer Fachkonferenz im Internationalen Seegerichtshof in Hamburg am Freitag. "Wir vertrauen darauf, dass der militärische Schutzschirm vergrößert wird." Darauf setzt auch Hans-Heinrich Nöll, der Hauptgeschäftsführer des Verbandes Deutscher Reeder: "Die Staatengemeinschaft muss sich mit ihren Marineverbänden in der Region noch besser koordinieren, und die Besatzungen der Marineschiffe müssen rechtlich freie Hand haben, Piratenschiffe anzugreifen und die Piraten dingfest zu machen."
Auch die Präsenz internationaler Flottenverbände allerdings wird das Problem nicht lösen können. Der Humus für die wachsende Piraterie am Horn von Afrika sind Armut, Anarchie und kriminelle Energie im ehemaligen Somalia. Das Geschäft der Sicherheitsunternehmen dürfte deshalb so lange weiterwachsen, bis politische und ökonomische Mittel gegen die Bandenkriminalität in der Region zu wirken beginnen. Zahlreiche Sicherheits- und Beratungsunternehmen widmen sich nach Einschätzung von Experten mittlerweile dem lukrativen Thema, darunter auch der US-Sicherheitskonzern Blackwater, dessen Mitarbeiter bei brutalen Einsätzen für die US-Armee im Irak für Schlagzeilen sorgten. Seit einigen Monaten firmiert das Unternehmen unter dem unscheinbaren neuen Namen Xe.
Wie viele Sicherheitsexperten aus der privaten Wirtschaft als Begleitschutz auf den Schiffen mitfahren, möglicherweise auch bewaffnet, ist nicht bekannt. Gerade bei der Frage der Bewaffnung allerdings ziehen alle Experten, die sich zu dem Thema äußern, eine scharfe Trennlinie: "Wir empfehlen den Reedereien, ihre Crews niemals zu bewaffnen", sagt Dirk Steffen von Risk Intelligence. "Allerdings drängen seit einiger Zeit verstärkt weniger seriöse ,Cowboy-Firmen' in das Geschäft. Wir haben Angst davor, dass irgendwann einmal ein ehemaliger Irak-Kämpfer auf somalische Piraten schießt."
Bislang gingen die Kaperungen vor Somalia weitgehend glimpflich und nur mit wenigen Toten aus. Die Lösegeldpiraten schonen ihre Geiseln, denn sie sind ihnen Geld wert. Sollten aber tatsächlich irgendwann verstärkt islamistische Terroristen mit dem Motiv Rache in das Piratengeschäft am Horn von Afrika eingreifen, droht die Lage zu eskalieren: "Dann", sagt Stefan Bülow von John T. Essberger, "erreicht das Ganze dort noch ein viel schlimmeres Niveau."