Der US-Präsident zeigte in Kairo schonungslos auf, was zwischen Orient und Okzident falsch läuft. Er hat den Respekt seiner Zuhörer gewonnen - aber er hat auch von ihnen Toleranz und Entgegenkommen verlangt.

Kairo

Auf der festlichen Bühne der Kairoer Universität ficht Barack Obama einen einsamen Kampf, während die Augen nicht nur der muslimischen Welt auf ihn gerichtet sind. Es ist der Kampf gegen eine gemeine ägyptische Fliege, die sich mal auf seine Stirn, mal auf seine Wange setzt. Mit kleinen Handbewegungen sucht der mächtigste Mann der Welt den hartnäckigen Störenfried zu verscheuchen, ohne dabei den Fluss seiner vom Weißen Haus als "historisch" deklarierten Rede zu unterbrechen.

Das gelingt ihm weitgehend. Allein die Geschwindigkeit seines Vortrags verrät, dass der ansonsten so "coole" Präsident ein wenig nervös ist.

Fast eine ganze Stunde seziert der Präsident das, was zwischen Orient und Okzident falsch läuft. Der Anfang ist eher konventionell. Da ist viel von "Neuanfang" die Rede, von "Misstrauen", das es auszuräumen gelte, und von Respekt, mit dem man einander begegnen müsse. Der Präsident erwähnt seine eigenen Erfahrungen mit dem Islam, etwa die Generationen von Muslimen im kenianischen Teil seiner Familie. Natürlich darf seine Schulzeit in Indonesien nicht fehlen, genauso wie seine Erfahrungen mit Muslimen als Sozialarbeiter in Chicago. Obama weist auf die großen Leistungen der muslimischen Zivilisation im Mittelalter hin - etwa in der Algebra, der Seefahrt und der Medizin.

Es ist ein Diskurs, der um Wohlwollen wirbt und eine Zäsur zum Ton der Bush-Jahre darstellen soll und ansonsten dem gleicht, den EU-Offizielle seit Jahren mit der muslimischen Welt perfektioniert haben, und der vor allem dem Zukleistern von Differenzen dient. Doch das, so zeigt sich bald, ist nur die Ouvertüre.

Was dann folgt, ist eine Kritik in sieben Punkten, die niemanden ungeschoren lässt - den Westen nicht, die Muslime nicht, weder Israelis noch Palästinenser; der die Despoten der arabischen Welt genauso herausfordert wie ihre Machos, Traditionalisten genauso wie europäische Liberale.

"Ich halte es für einen Teil meiner Verantwortung als Präsident der Vereinigten Staaten, gegen negative Stereotype des Islam, wo immer sie auftreten, zu kämpfen", sagte er. "Aber dieses Prinzip muss genauso auf muslimische Ansichten zu Amerika angewendet werden." So viel war schnell klar: Der Präsident war nicht gekommen, um in Sack und Asche zu gehen.

Lieber präsentiert Obama seinen Zuhörern ein Amerika, das wenige kennen. Ein Land, in dem sieben Millionen Muslime leben, die ein besseres Bildungsniveau und ein höheres Einkommen haben als der Durchschnittsamerikaner. Ein Land der 1200 Moscheen, in dem die Regierung auf Religionsfreiheit pocht.

Obama gilt als Kontrollfreak, der stets selbst Hand an seine Reden legt. Diese hat er besonders intensiv vorbereitet. Monatelang beriet er sich mit unzähligen Experten, Muslimen und Nichtmuslimen. Noch in der Nacht zum Donnerstag hat er sich auf dem Pferdegestüt des saudischen Königs zurückgezogen, um an Formulierungen zu feilen. Und auch diesmal entsteht jener typische Obama-Mix von Geschichte und Gegenwart. Der Präsident erinnert daran, dass Marokko 1796 im Vertrag von Tripoli als erstes Land die Vereinigten Staaten anerkannte. Und er erzählt vom ersten muslimischen Kongressabgeordneten, der seinen Eid auf einen Koran geleistet hat. Das Buch stammte aus der Bibliothek des Gründervaters Thomas Jefferson.

Dann geht es Schlag auf Schlag. Extremismus, al-Qaida, Afghanistan, Irak. Interessant wird es, als Obama zum Nahostkonflikt kommt. Er steigt ein damit, dass Amerikas Bindung zu Israel unauflöslich ist. Er erzählt vom Holocaust, erwähnt seine bevorstehende Reise nach Buchenwald und wirbt um Verständnis für Israels Sicherheitsbedürfnis. "Sechs Millionen Juden wurden getötet - mehr als die gesamte heutige jüdische Bevölkerung Israels", sagt Obama. Er geht mit in der Region weit verbreiteten antisemitischen Klischees ins Gericht. Das Publikum quittiert diese Passage mit Totenstille. Als Obama sich dann aber ebenso emphatisch dem Leiden der Palästinenser zuwendet, ihre Situation für "nicht tolerierbar" erklärt, einen Palästinenserstaat fordert sowie ein Ende des Siedlungsbaus, brandet Beifall auf. Dazu aber müssten die Palästinenser von der Gewalt lassen, die er eine "Sackgasse" nennt.

Obama wendet sich dagegen, eine Regierungsform von außen aufzuzwingen. Aber sein Plädoyer für Demokratie, Menschenrechte, Meinungsfreiheit und Selbstbestimmung könnte eindeutiger nicht sein. Im Saal sitzen jede Menge graue Funktionäre der Mubarak-Herrschaft und nur etwa 300 handverlesene Studenten. Die jubeln. Obama hat einen Nerv getroffen.

Der Präsident hat einen Balanceakt zwischen kultureller Sensibilität und klaren Worten versucht. Er hat es sich nicht leicht gemacht: Er hat auch den Muslimen einiges zugemutet, ohne sie jedoch vor den Kopf zu stoßen. Das ist an sich schon eine Leistung.