Das Etikett “historisch“, das gern inflationär auf Politiker-Reden aller Art geklebt wird, ist diesmal hoch verdient.

Noch nie zuvor hat ein führender Politiker der Erde derart deutliche Worte zum Verhältnis der westlichen zur muslimischen Welt gefunden wie US-Präsident Barack Obama gestern in Kairo. Noch nie zuvor sind Kernprobleme, Unzulänglichkeiten und Erwartungen auf beiden Seiten so offen formuliert worden. Es war zugleich eine flammende Absage an den politischen Radikalismus und an Samuel Huntingtons Vision vom "Zusammenprall der Kulturen".

Barack Obamas Rede ist ein mutiger und schonungsloser Vorstoß, um erstarrte Fronten aufzubrechen. Mit dem wiederholten Zitieren des Korans sowie dem nachdrücklichen Hinweis auf sein muslimisches Erbe ist der Präsident an die äußersten Grenzen dessen gegangen, was er klerikal-konservativen Amerikanern zumuten kann. Und Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu werden Obamas klares Bekenntnis zu einem Palästinenserstaat, zu einer Einbeziehung der Hamas sowie seine Hinweise auf das Leiden der Palästinenser nicht eben das Herz gewärmt haben. Andererseits sind Obamas Forderungen an die islamische Welt in puncto Demokratie, Frauenrechte und religiöser Toleranz für konservative Muslime eine Zumutung.

Der Präsident der USA hat es gewagt, unbequeme Wahrheiten auszusprechen und damit Tabus zu brechen. Nun wird sich zeigen, ob die islamische Welt die gleiche Kraft und Souveränität besitzt.