Demonstranten erheben schwere Vorwürfe gegen ägyptische Sicherheitskräfte. Wenige Tage vor Beginn der Wahlen halten die Proteste an.
Kairo. Die Sicherheitskräfte in Kairo sollen friedliche Demonstranten auf dem Tahrir-Platz mit einem Giftgasgemisch attackiert haben. Die Staatsanwaltschaft prüfe entsprechende Vorwürfe gegen die Ordnungspolizei, teilten Justizkreise am Freitag mit. Für die Untersuchung seien Tränengasgranaten aus Munitionsdepots der Polizei und leere Granathülsen von der Straße eingesammelt worden. Während der jüngsten Proteste in Kairo und anderen Städten wurden seit Freitag vergangener Woche laut Gesundheitsministerium 41 Menschen getötet, davon 36 in der ägyptischen Hauptstadt.
+++Gansuri neuer Ministerpräsident in Ägypten+++
Die ägyptisch-amerikanische Journalistin Mona al-Tahawy ist nach eigenen Angaben während der Proteste in Kairo von der Polizei geschlagen, festgenommen und sexuell misshandelt worden. Die bekannte Publizistin berichtete nach ihrer Freilassung am Freitag über den Kurzmitteilungsdienst Twitter und in Interviews mit verschiedenen TV-Sendern von ihren Erlebnissen im Gebäude des Innenministeriums. Ihren Angaben zufolge wurde sie von Angehörigen der Ordnungspolizei festgenommen, als sie Mittwochnacht Straßenschlachten zwischen der Polizei und Demonstranten in der Nähe des Tahrir-Platzes fotografierte.
Anschließend habe man ihr die Augen verbunden und sie begrapscht. "Ich konnte irgendwann nicht mehr mitzählen, wie viele Hände versuchten, in meine Hose zu gelangen", schrieb al-Tahawy. Während dieser Tortur habe sie sich damit getröstet, dass sie hinterher einen Artikel schreiben würde über das, was ihr geschah. Eine Röntgenaufnahme zeige, dass ihr linker Arm und ihre rechte Hand als Folge der Schläge gebrochen seien, schrieb sie weiter.
Auf dem Tahrir-Platz in Kairo versammelten sich erneut Zehntausende Demonstranten. Die Proteste richten sich gegen den Obersten Militärrat, der das Land seit der Entmachtung von Präsident Husni Mubarak im vergangenen Februar lenkt. Am Freitagsgebet auf dem Platz nahm auch Friedensnobelpreisträger Mohammed al-Baradei teil, der als Präsidentschaftskandidat antreten will.
Ein ehemaliger Ministerpräsident des gestürzten ägyptischen Machthabers Husni Mubarak soll nach dem Willen des regierenden Militärrats eine neue Übergangsregierung anführen. Wie im ägyptischen Staatsfernsehen bekannt gegeben wurde, soll Kamal al-Gansuri die Nachfolge von Essam Scharaf antreten, der diese Woche nach den blutigen Auseinandersetzungen zwischen Polizisten und Demonstranten als Regierungschef zurücktrat.
Gansuri war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident. Zuvor diente er als stellvertretender Regierungschef und Planungsminister. "Unrechtmäßig! Unrechtmäßig!", riefen die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo, als sie von Gansuris Ernennung erfuhren. "Er war nicht nur Ministerpräsident unter Mubarak, er war auch insgesamt 18 Jahre Teil des alten Regimes", sagte der 29-jährige Aktivist Mohammed al-Fajumi. "Warum hatten wir überhaupt eine Revolution?"
Am Montag beginnt die erste Phase der Parlamentswahl, bei der sich mehr als 6000 Kandidaten zur Wahl stellen. Dabei wird sich zeigen, wie viele Ägypter tatsächlich hinter der Forderung nach Demokratie und Menschenrechten stehen. Denn die Unterschiede zwischen Stadt und Land, Akademikern und Analphabeten sind enorm. Am Montag wird zunächst in Kairo, Alexandria und sieben weiteren Provinzen gewählt. Die restlichen der insgesamt 27 Provinzen werden Mitte Dezember und Anfang Januar folgen. Zwei Drittel der 498 Sitze sind für die Kandidaten der Parteienlisten reserviert. Ein Drittel der Kandidaten wird direkt gewählt.
Das endgültige Wahlergebnis soll erst am 13. Januar vorliegen. Danach folgen, wenn alles nach Plan läuft, die Wahl der zweiten Kammer, die Ausarbeitung einer neuen Verfassung und die Wahl eines neuen Präsidenten. Seit Wochen wird in Kairo von einem geheimen "Deal" der Islamisten mit dem Militär gemunkelt. Doch Beweise dafür hat bislang niemand vorgelegt.