Während sich die Industriestaaten um ihren Reichtum sorgen und Asien aufholt, hungern 600 Millionen Menschen auf der Welt.
Hamburg. Vor wenigen Monaten noch wirkte US-Präsident Barack Obama, gerade 50 Jahre geworden, fast zu jugendlich für Amt und Alter. Inzwischen hat sich sein Haar grau gefärbt, Falten haben sich in sein Gesicht gegraben. Obama kämpft verzweifelt um die Zukunft der militärisch und wirtschaftlich mächtigsten Nation, die es jemals auf der Erde gegeben hat.
Manche Kommentatoren sehen die USA bereits am Rande des Niedergangs. Die Wirtschaftsdaten sind bedenklich, die Staatsverschuldung erreicht 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Im Februar 2009 hatte Obama ein gigantisches "stimulus package" zur Belebung der US-Wirtschaft im Umfang von 787 Milliarden Dollar unterschrieben - bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Auch Europa ergeht es kaum besser; die EU hat einen Krisenfonds in Höhe von 440 Milliarden Euro aufgelegt. Die Griechenland-Krise droht sich derweil auf die ökonomisch wesentlich wichtigeren Staaten Italien und Spanien auszuweiten.
Europa und Amerika - einst die "Erste Welt" in der alten, heute nicht mehr als politisch korrekt angesehenen Kategorisierung, die auch eine "dritte" und "vierte Welt" kannte - wenden unvorstellbare Summen auf, um ihre Wirtschaftssysteme und somit den eigenen Lebensstandard zu retten. Untergangsstimmung macht sich breit, der DAX stürzt ab, die dort gehandelten Unternehmen verlieren 100 Milliarden Euro.
Und doch wirkt die im Westen derzeit weit verbreitete Angst vor einem Sturz in die Armut, gemessen an den Lebensumständen in anderen Teilen der Welt, als unangebracht.
Armut und Reichtum auf der Erde sind krass ungleich verteilt. Das gilt für die Vermögen der Staaten wie auch für die Vermögen der in ihnen lebenden Menschen. Mehr als eine Milliarde Erdenbürger leben in extremer Armut. Das bedeutet konkret, dass ein Mensch mit 90 Cent am Tag auskommen muss. Fast 600 Millionen Menschen hungern - die meisten in Asien und Afrika.
Die atlantische Zone ist derweil weiterhin die mit Abstand reichste Region der Welt. Fast 39 Prozent des globalen Geldvermögens privater Haushalte konzentrieren sich allein in den krisengeschüttelten USA, wie der "Allianz Global Wealth Report 2010" ausweist. Im Schnitt verfügt jeder US-Amerikaner über 101.000 Euro Geldvermögen. Das ist natürlich ein rein statistischer Wert, der den Millionen Armen in den USA die Zornesröte ins Gesicht treiben würde. Der immense Reichtum der amerikanischen Geldelite, darunter Multimilliardäre wie Bill Gates, Warren Buffet oder Larry Ellison, sorgt für diese Zahl. Allein in der Stadt New York leben mindestens 55 Milliardäre, wie der jährlich erscheinende "World Wealth Report" der US-Investmentbank Merrill Lynch und des führenden europäischen Unternehmensberaters Capgemini zeigt. Das sind etwa so viele Milliardäre, wie es in ganz Deutschland gibt.
Doch mit diesem hohen Pro-Kopf-Vermögen belegen die USA weltweit nur den zweiten Platz hinter der Schweiz: Statistisch gesehen verfügt jeder Eidgenosse über ein Geldvermögen von 164.000 Euro. Rang drei belegt Dänemark mit rund 96.000 Euro. Auf den Plätzen folgen die Niederlande und Japan mit jeweils 92.000 Euro, Deutschland belegt Rang 16 mit knapp 57.000 Euro Vermögen pro Kopf.
Insgesamt ist das Vermögen der "High Net Worth Individuals" (HNWI), die mindestens eine Million Dollar anlegen können, 2010 weltweit wieder um fast zehn Prozent gewachsen. Die Finanzkrise von 2007/2008 ist in diesem Personenkreis vergessen. Die Vermögen der "Ultra High Net Worth Individuals" (UHNWI) mit mindestens 30 Millionen Dollar Kapital stiegen gar um 11,5 Prozent.
Allein in den USA, Japan und Deutschland leben mehr als die Hälfte der weltweiten HNWI. Bei uns gibt es inzwischen mehr als 900 000 Dollar-Millionäre. Doch Asien mit seinen Megamärkten und dynamischen Volkswirtschaften holt auf; China hat Deutschland in rasendem Tempo überholt und liegt mit mehr als einer Million Millionären auf Rang drei hinter den USA und Japan. Zugleich gibt es im Reich der Mitte aber rund 200 Millionen bitterarme Wanderarbeiter - ein ungeheurer sozialer Sprengsatz, der China eines Tages zerreißen könnte. Die Staaten der Erde teilt die Finanzwelt bezüglich ihres Reichtums dagegen in drei Kategorien auf: Da gibt es die "High Wealth Countries" (HWC) mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Vermögen von mehr als 31 600 Euro, dann die "Middle Wealth Countries" (MWC) mit einem Vermögen zwischen 5300 und 31 600 Euro und schließlich die "Low Wealth Countries" (LWC), die unter 5300 Euro liegen.
Dazu eine beeindruckende Zahl aus dem Allianz-Report: Annähernd 90 Prozent des globalen Geldvermögens von rund 85 Billionen Euro befinden sich in den Händen der Privathaushalte in den HWC. Dort lag das tatsächliche Pro-Kopf-Vermögen 2009 bei fast 80 000 Euro - während es in den LWC gerade einmal 1800 Euro waren.
Doch die Habenichtse holen auf: Gegenwärtig haben die Menschen in den HWC fast 45-mal so viel Geld wie in den LWC; aber zu Beginn des vorigen Jahrzehnts war es noch das 135-Fache.
Die globale Finanz- und Wirtschaftskrise hat viele ohnehin arme Staaten aber schwer getroffen - denn die Exporte dieser Länder in die Industriestaaten brachen ein. Die Weltbank hatte bereits im April 2009 in Washington auf einer gemeinsamen Konferenz mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Alarm geschlagen und erklärt, bis zu 90 Millionen Menschen in den armen Staaten könnten durch die Krise zusätzlich in extreme Armut getrieben werden. Die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sprach von einer "humanitären Katastrophe". Es ist eine zynische Fußnote dieser globalen Krise: Die Ärmsten der Armen verhungern auch deswegen, weil sich schwerreiche Banker an der Wall Street mit ihren Milliardenspielen verzockt haben.
Nach amerikanischen Medienberichten wurde dem Zynismus dann noch die Krone aufgesetzt. An die Manager unter anderem auch jener Banken, die nur mit erheblichen Staatshilfen vor dem Zusammenbruch gerettet werden konnten, wurden insgesamt mehr als 32 Milliarden Dollar an Boni ausgeschüttet. Das sind Summen, die geeignet wären, die Probleme ganzer Hunger-Regionen zu lösen.
Einem Report der Weltbank nach werden mehr als 40 der ärmsten Staaten der Erde auch langfristig noch unter den Folgen der Finanzkrise leiden.
Im vergangenen September fand in New York ein sogenannter "Weltarmutsgipfel" statt; genauer gesagt war es die Bilanzkonferenz zum Millenniumsgipfel des Jahres 2000, wo sich 189 Staaten vorgenommen hatten, bis zum Jahr 2015 die Armut auf der Welt zumindest zu halbieren. Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon meinte in New York, zwar gebe es bereits Fortschritte, doch seien die in vielen Ländern noch "sehr brüchig". Die Weltbank erklärte, die afrikanischen Länder südlich der Sahara hätten wohl die geringsten Chancen, das Millenniumsziel noch zu erreichen.
In Afrika liegen viele der ärmsten Staaten der Welt. Der jährlich veröffentlichte Wohlstandsindex des Investmentunternehmens Legatum, der 110 der rund 200 Staaten der Erde erfasst, listet ab Platz 90 fast nur noch afrikanische Staaten auf. Der erste schwarzafrikanische Staat in dieser Liste ist einsam Botswana auf Platz 57. Der Reichtumsbegriff ist bei Legatum allerdings ein erweiterter; die Analysten ziehen als Kriterien neben den reinen Wirtschaftsgrundlagen unter anderem auch Bildung, Demokratie, Unternehmergeist, persönliche Freiheit, soziale Lage und Staatsführung heran. Ein gescheiterter Staat wie Somalia, wo derzeit Tausende Hungers sterben, taucht in der Legatum-Liste gar nicht erst auf. Angeführt wird sie übrigens von den skandinavischen Ländern, allen voran Norwegen, Dänemark und Finnland, sowie Australien und Neuseeland. Unter den ersten 25 der reichsten Staaten der Erde nach dieser Definition sind 17 europäische. Die USA liegen auf Platz zehn, Deutschland belegt Platz 15 in diesem Vergleich.
Schlusslicht Afrika ist jedoch zugleich der Kontinent der Chancen. "In den vergangenen zehn Jahren hat Afrika einen Aufholprozess erlebt", sagt Michael Monnerjahn vom Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft in Hamburg. "Nach einer neuen Studie der OECD ist die Mehrheit der afrikanischen Wirtschaften schneller gewachsen als der Weltdurchschnitt. Es hört sich absurd an - aber gerade in Ostafrika, bei dessen Erwähnung wir eigentlich nur an Hunger denken, haben wir zuletzt Wachstumsraten von sieben Prozent gehabt."
Allerdings sei die Infrastruktur noch "ein riesiges Problem", räumt Monnerjahn ein. Äthiopien etwa könnte sich durchaus selber versorgen, "doch die Lebensmittel kommen nicht dort an, wo sie benötigt werden. Auch gibt es keine vernünftigen Märkte, die das steuern könnten."
Manche afrikanischen Staaten hätten auch Probleme mit der Regierungsführung und mit Korruption. So hätten bestochene Regierungsbeamte in Kenia Nahrungsmittelvorräte, die für den Notfall angelegt worden seien, auf eigene Rechnung verkauft. In einer Krise sei dann nichts mehr da. Monnerjahn spricht von einem "Politikversagen" mit katastrophalen Folgen.
"Grundsätzlich kann man jedoch sagen: Das letzte Jahrzehnt war für Afrika das erfolgreichste seit der Unabhängigkeit in den 50er- und 60er-Jahren." Doch der wachsende Wohlstand erreiche nicht die ganze Gesellschaft. Tendenziell herrsche in jenen Staaten, die Rohstoffe haben und im großen Maßstab an China oder Indien verkaufen, größere soziale Ungleichheit. "Luanda, die Hauptstadt von Angola, gehört inzwischen zu den teuersten der Welt. Ein Zimmer in einem Mittelklassehotel nach unserem Standard kostet da 300 bis 400 Dollar. Gleichzeitig sieht man Stadtviertel, in denen praktisch gar keine Infrastruktur vorhanden ist."
Botswana andererseits, das vor 40 Jahren noch zu den ärmsten Staaten der Welt gehört habe, sei inzwischen ein Schwellenland mit funktionierender Infrastruktur. Und insgesamt wachse in Afrika die Zahl der Staaten immer mehr, in denen es Tendenzen gebe, den Wohlstand gerechter zu verteilen.
Das Wohlstandsgefälle auf der Welt ist in Bewegung geraten: Europa und die USA kämpfen, Asien setzt zum Überholen an, Afrika rappelt sich auf. Doch die Verteilung des Reichtums auf der Welt bleibt vorerst sehr ungleich - sowohl zwischen den Staaten als auch innerhalb der einzelnen Länder.