Beim Gipfeltreffen von Dimitri Medwedew und Angela Merkel in Hannover erwarten Russlands Präsident heikle Fragen der Kanzlerin.
Hamburg/Berlin. Wenn Angela Merkel und Dmitri Medwedew zusammenkommen, sind schöne Bilder programmiert. Beide sprechen sich mit Vornamen an, oft ohne Dolmetscher, da Merkel des Russischen und Medwedew des Englischen mächtig ist. Beim letzen Gipfel der Bundeskanzlerin mit dem russischen Präsidenten in Jekaterinburg vor einem Jahr war die gegenseitige Sympathie mehr als offensichtlich: Zum Abschied küsste Medwedew die "liebe Angela" auf die Wange, geleitete sie höchstpersönlich zum Flugzeug und drückte ihr obendrein einen Blumenstrauß in die Hand.
Das Wiedersehen, das nun in Hannover ansteht, steht also diesbezüglich unter einem guten Stern. Am Sonntag beginnt der Petersburger Dialog, ein Forum für Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur aus beiden Ländern - und geht über in die deutsch-russischen Regierungskonsultationen mit Merkel, Medwedew und einer ganze Reihe an Ministern und Staatssekretären am kommenden Montag. "Niedersachsen wird ein hervorragender Gastgeber sein", sagte Ministerpräsident David McAllister (CDU). "Der Petersburger Dialog ist ein hochkarätig besetztes bilaterales Diskussionsforum zur Verständigung zwischen Russland und Deutschland." Das Dachthema "Bürger, Gesellschaft und Staat - Partner im Modernisierungsprozess" verspreche zahlreiche spannende und über den Tag hinausreichende Debatten.
Tatsächlich gibt es jedoch einigen Konfliktstoff, vor allem zwischen Merkel und Medwedew. Zum einen beim Schwerpunkt Außenpolitik: Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) bemüht sich derzeit als Vorsitzender des Weltsicherheitsrates der Uno, das Gremium zu einer gemeinsamen Anti-Syrien-Resolution zu bewegen. Doch trotz tödlicher Gewaltexzesse von syrischen Regierungskräften durch Machthaber Baschar al-Assad gegen Oppositionelle scheitert ein Beschluss derzeit auch am Veto Russlands. In Regierungskreisen hieß es hierzu gestern, man sei zwar nicht direkt zuversichtlich, Russland bei dem Treffen in Hannover umstimmen zu können, sehe die Regierungskonsultationen jedoch immerhin als einen Schritt in die richtige Richtung. Im Gepäck habe Merkel außerdem die Bitte, die Schritte gegen das iranische Atomprogramm zu verschärfen.
Heikel wird es auch in der Innenpolitik. Als Merkel und Medwedew vor einem Jahr nach dem Abendessen bis nach Mitternacht plaudernd zusammensaßen, wurde zwischen Russland und Deutschland die sogenannte Modernisierungspartnerschaft besiegelt. Berlin unterstützt Moskau dabei, die Entwicklung einer Zivilgesellschaft voranzutreiben, verkrustete Strukturen in der Verwaltung zu beseitigen, ein modernes Justizwesen zu schaffen. "Besonderes Augenmerk" wolle Merkel dabei auf den ungeklärten Mord an der kremlkritischen Journalistin Natalia Estemirowa legen, hieß es. Die Kanzlerin werde anmahnen, dass zwei Jahre nach der Tat niemand dafür verurteilt worden sei. Gut möglich, dass Merkel auch in Sachen Korruption Nachbesserungen vom russischen Präsidenten verlangt. "Präsident Medwedew hat sich zur Bekämpfung der Korruption bekannt, konnte sich bisher aber nicht durchsetzen", sagte Hans-Henning Schröder, Russland-Experte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik dem Abendblatt. Medwedew wisse, dass Russland Rechtssicherheit für ausländische Investoren dringend gewährleisten muss, damit das Land in der Weltwirtschaft mithalten könne. "Doch die russische Elite sperrt sich gegen Reformen. Sie verfolgen ihre eigenen Interessen, alte Seilschaften helfen dabei."
Die Beziehungen zwischen beiden Ländern gelten prinzipiell jedoch als gut und stabil. "Für Russland ist Berlin das politische Tor zum Westen. Und die deutsche Regierung stärkt durch die enge Verbindung zu Russland ihre Position in der EU", so Schröder. Russland-Experte Alexander Rahr von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik sagte gar: "Die Russen sehen uns Deutsche fast als ihr Lieblingsvolk auf der ganzen Welt an."
Dass derzeit die geplante Vergabe des Quadriga-Preises an den russischen Ministerpräsidenten Wladimir Putin in Deutschland für Aufregung sorgt, tut dem Merkel-Medwedew-Gipfel nach Schröders Ansicht keinen Abbruch. "Die Vergabe des Quadriga-Preises ist eine lächerliche Geschichte. Der Preis ist kein Staatspreis, das ist Wichtigtuerei." Und doch bekomme der Preis durch die negativen Schlagzeilen eine diplomatische Bedeutung, die er nicht verdient habe. "Merkel wird gute Miene zum bösen Spiel machen müssen, wenn Premier Putin im Oktober nach Berlin kommt. Offene Kritik an der Vergabe des Preises an Putin zu üben wird sie sich kaum leisten können." Die Quadriga wird von einem privaten Verein für gute Führung vergeben und soll Vorbilder für Deutschland würdigen. Mit der Wahl Putins haben Mitglieder des Kuratoriums jedoch Probleme: Wegen seiner Haltung zu Rechtsstaat und Menschenrechten habe er diesen Preis nicht verdient, monieren sie. Etwa Grünen-Chef Cem Özdemir trat deshalb aus dem Gremium zurück.
Nicht Medwedew, sondern Wladimir Putin könnte es auch sein, der Merkel im kommenden Jahr bei den Regierungskonsultationen gegenübersitzt. Im März 2012 stehen Präsidentschaftswahlen in Russland an, und noch ist unklar, welcher der beiden Politiker ins Rennen geht. Menschlich soll die Kanzlerin den besseren Draht zu Medwedew haben. In jedem Fall aber werden die Beziehungen eng bleiben. Deutschland bezieht über 40 Prozent seines Gasbedarfs und ein Drittel seines Rohöls aus Russland. Die Energiewende verstärkt die Abhängigkeit, die Zusammenarbeit aber bleibt. Notfalls auch ohne Küsschen und Blumenstrauß.