USA erlassen Strafmaßnahmen gegen Assads Bruder und Vertreter von Militär und Geheimdiensten. Über 300 Tote seit Beginn der Proteste.
Washington/Genf/Damaskus. Wegen des gewaltsamen Vorgehens der syrischen Regierung gegen die Protestbewegung haben die USA Vertraute von Staatschef Baschar el Assad mit Sanktionen belegt. Wie das Weiße Haus am Freitag mitteilte, richten sich die Strafmaßnahmen gegen Assads Bruder Mahir sowie weitere ranghohe Vertreter von Militär und Geheimdiensten. Ihre Vermögenswerte in den USA werden eingefroren, US-Bürgern sind Geschäftsbeziehungen mit den genannten Personen fortan untersagt.
Mahir el Assad kommandiert die gefürchtete Vierte Division der syrischen Armee, die dem Weißen Haus zufolge eine „führende Rolle“ bei der blutigen Niederschlagung von Demonstrationen in der Protesthochburg Daraa spielt. Namentlich genannt wird auch Geheimdienstchef Ali Mamluk sowie Atif Nadschib, ein Cousin Assads und hoher Geheimdienstfunktionär in der Provinz Daraa. Außerdem wurden Sanktionen pauschal gegen die gesamte Spitze des syrischen Geheimdienstes verhängt.
Auch die EU ebnet den Weg für Syrien-Sanktionen. Hier machen vor allem die großen Länder Großbritannien, Frankreich oder Deutschland Druck: Gegen Syrien muss es Sanktionen geben. Die ständigen Botschafter der EU-Staaten ebneten nun den Weg für die Strafmaßnahmen. Endgültig beschlossen ist aber noch nichts.
Die EU will Syrien mit einem Waffenembargo bestrafen. Es könnten auch millionenschwere Hilfszahlungen der Union an das gewalterschütterte Nahost-Land eingefroren werden, berichteten Diplomaten am Freitagabend in Brüssel nach einer Sitzung der ständigen Botschafter der 27 EU-Staaten. Die EU fordert ein sofortiges Ende der Gewalt in dem arabischen Land.
Die Sanktionen müssten zu einem späteren Zeitpunkt förmlich beschlossen werden, beispielsweise durch die EU-Außenminister, sagten Diplomaten. Einen Termin gibt es noch nicht. „Das kann aber relativ schnell gehen“, hieß es am Rande der Sitzung.
Die EU reagiert mit den Schritten auf die brutale Gewalt, die Machthaber Baschar al-Assad gegen die Protestbewegung in seinem Land einsetzt. Zur Debatte stehen laut Diplomaten auch Reisebeschränkungen für Verantwortliche des Regimes oder das Einfrieren von Vermögenswerten. Die Arbeiten für Assoziierungsabkommen mit dem Land sollen erst einmal nicht weitergeführt werden.
Im Rahmen eines Hilfsprogramms stehen für das Land von 2011 bis 2013 bisher rund 129 Millionen Euro aus EU-Töpfen bereit. Die Gelder sollten politische, wirtschaftliche und soziale Reformen vorantreiben. Gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank finanziert die EU-Kommission darüber hinaus Projekte in Syrien, die sich auf mehr als 1,3 Milliarden Euro belaufen.
Die Europäer waren enttäuscht über die gescheiterte Verurteilung Syriens im UN-Sicherheitsrat. Ein von Deutschen, Briten, Franzosen und Portugiesen eingebrachter Entwurf für eine offizielle Erklärung fand Mitte der Woche nicht die Zustimmung des 15-Länder-Gremiums.
Bei der Gewalt in Syrien kamen nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) seit Mitte März mindestens 300 Menschen ums Leben.
Auch der UN-Menschenrechtsrat hat am Freitag Ermittlungen zur blutigen Niederschlagung der Proteste in Syrien gebilligt. Zudem wurde das Land aufgefordert, umgehend alle politischen Gefangenen freizulassen und die Beschränkungen für Journalisten und das Internet aufzuheben. Der Rat kam am Freitag zu einer Sondersitzung zur Lage in Syrien zusammen.
Bei der Abstimmung sprachen sich 26 Mitgliedsländer für eine Untersuchung möglicher Menschenrechtsverletzungen in Syrien aus, neun waren dagegen. Es gab sieben Enthaltungen und fünf Länder hatten die Abstimmung boykottiert.
In dem bislang größten Protestmarsch gegen Syriens Präsidenten Baschir al-Assad sind am Freitag rund Zehntausend Menschen in der Hauptstadt Damaskus auf die Straße gegangen. Die Demonstranten bekundeten dabei auch ihre Solidarität mit den Bewohnern in der weitgehend abgeriegelten Stadt Deraa, die als Hochburg der Protestbewegung gilt. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas gegen die Demonstranten ein. In Deraa eröffneten die Soldaten nach Berichten von Augenzeugen erneut das Feuer auf Tausende Demonstranten. Dabei wurden nach Angaben von Ärzten mindestens 15 Menschen getötet.
Seit Beginn der Proteste in Syrien sollen nach Angaben einer Menschenrechtsorganisation etwa 500 Menschen getötet worden sein. Trotz des massiven Armeeaufgebots protestierten tausende Syrer nach den Freitagsgebeten nicht nur in Damaskus, sondern in zahlreichen weiteren Städten gegen die autoritäre Herrschaft von Assad. So gingen die Menschen etwa in Homs und Hama in Zentralsyrien, in Bania an der Mittelmeerküste und im östlichen Kamischli und in Haraschta für mehr Freiheit auf die Straße.
Unterdessen scheint sich die Situation in Deraa weiter zu verschärfen. Einem Mediziner zufolge wurden 15 Leichen mit Schusswunden ins Krankenhaus von Tafas nordwestlich der Stadt eingeliefert. Sie seien getötet worden, als sie versucht hätten, nach Deraa zu gelangen, um sich den Protesten anzuschließen. Ein Einwohner berichtete, ein Demonstrant sei von einem Scharfschützen erschossen worden. Dutzende Menschen seien verletzt worden, hieß es. Ein weiterer Augenzeuge berichtete, ganze Busladungen von Demonstranten aus nahe gelegenen Dörfern seien auf dem Weg nach Deraa. In der 120.000 Einwohner zählenden Stadt hatten die Proteste am 18. März begonnen.
In Damaskus fuhren mit Maschinengewehren ausgerüstete Fahrzeuge der Republikanischen Garde auf. Soldaten in Kampfmontur patrouillierten in Außenbezirken, wie ein Augenzeuge berichtete. Verschiedene Einheiten der Sicherheitsorgane und Geheimpolizei verstärkten Kontrollposten um die Stadt, wie andere Augenzeugen berichteten. Die Stadt sollte offenbar von den Vororten und vom Umland abgeschnitten werden. Telekommunikations- und Stromleitungen wurden Bewohnern zufolge abgeklemmt.
Angesichts der zunehmenden Gewalt gegen die Demonstranten drängen Diplomaten und Politiker in der ganzen Welt auf schärfere Sanktionen gegen Syrien, um die Führung für ihr Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung zu bestrafen. Vertreter der Europäischen Union berieten am Freitag über Reisebeschränkungen für Mitglieder der Regierung und das Einfrieren von Vermögen. Ein Sprecher der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton erklärte, „alle Optionen“ würden diskutiert.
Bisher hat der UN-Sicherheitsrat Syrien nicht offiziell verurteilt. Diplomatenkreisen zufolge stemmen sich Russland, China und der Libanon gegen einen solchen Schritt. Dagegen konnte sich der UN-Menschenrechtsrat in Genf am frühen Freitagabend zu einer Resolution durchringen, in der das Vorgehen der syrischen Führung verurteilt wird. Die von den USA eingebrachte Resolution wurde mit 26 zu 9 Stimmen angenommen bei sieben Enthaltungen. Fünf Staaten – darunter Jordanien, Katar und Bahrain – blieben der Abstimmung fern.
Unterdessen stärkte in Syrien erstmals die Muslimbruderschaft der Protestbewegung den Rücken. In ihrer ersten Äußerung seit Beginn der Demonstrationen forderten sie die Syrer auf, ihren Widerstand gegen die autokratische Führung des Landes fortzusetzen. „Lasst nicht zu, dass das Regime Eure Mitbürger bedrängt“, hieß es in der Erklärung, die Reuters vorlag. „Stimmt ein in den Gesang für Frieden und Würde. Erlaubt nicht, dass der Tyrann Euch unterjocht. Gott ist groß.“ (dapd/rtr)