Das Assad-Regime in Syrien verübt laut Augenzeugenbericht Massaker an Zivilisten. Die Europäische Union erwägt Sanktionen.
Hamburg. Wenn Basil al-Assad nicht an jenem frühen Morgen des 21. Januar 1994 die Ausfahrt zum Internationalen Flughafen von Damaskus übersehen hätte, dann wäre sein jüngerer Bruder Baschar heute vielleicht kein brutaler Tyrann, sondern ein angesehener Augenarzt mit vergleichsweise liberalen Ansichten. Doch Basil wollte damals unbedingt seinen Flug nach Deutschland erreichen, versuchte bei 130 Kilometern pro Stunde noch zu wenden und rammte seinen Mercedes frontal in eine Betonsperre.
Basil war von seinem Vater, dem syrischen Präsidenten Hafis al-Assad, seit vielen Jahren systematisch zum Nachfolger aufgebaut worden. Nach Basils Unfalltod rückte der bis dato unscheinbare Baschar, Medizinstudent in London, unversehens in die Rolle des Kronprinzen auf. Und wurde nach dem Tod des Vaters im Jahre 2000 Staatschef von Syrien. Baschar war allerdings nie Teil des Personenkults um Hafis und Basil gewesen, und er hatte offensichtlich ein gestörtes Verhältnis zum Vater.
Auch deshalb richteten sich viele Hoffnungen auf ihn. Doch auf den „Damaszener Frühling“ des Jahres 2001 mit ungewohnter Redefreiheit folgte nur wenige Monate später der bittere „Damaszener Winter“ mit Verhaftungen und Schauprozessen gegen Oppositionelle. Die verlockende Vision einer Öffnung und Demokratisierung Syriens hatte sich blitzartig in derart vielen Bürger-Köpfen eingenistet, dass Assad um die Stabilität seines Regimes fürchten musste. Vermutet wird zudem, dass sich der Erbe der zweiten Wahl der alten Machtelite seines Vaters beugen musste. Das Regime in Damaskus stützt sich massiv auf Armee und Geheimdienste, ruht letztlich aber auf der Minderheit der Alawiten – die nicht mit der Religionsgemeinschaft der Aleviten in der Türkei zu verwechseln sind. Die den Schiiten verwandten Alawiten oder Nusairier sind Anhänger einer religiösen Geheimlehre am Rande des islamischen Spektrums, stellen aber nur rund sechs Prozent der syrischen Bevölkerung.
75 Prozent der Syrer sind Sunniten, bis zu 15 Prozent sind Christen. Die Elite der syrischen Gesellschaft und des Militärs besteht aus Alawiten und beherrscht eine andersgläubige Mehrheit. Das macht die Ausgangslage für das Regime in unruhigen Zeiten potenziell prekär. Die Nerven liegen blank.
Nach außen hin gab sich Baschar al-Assad jedoch weiterhin als Reformer. Noch Ende Januar hatte er im „Wall Street Journal“ ein Umdenken der arabischen Machthaber hin zu mehr Liberalität gefordert und zugleich die Ansicht vertreten, ein Volksaufstand wie in Ägypten sei in Syrien undenkbar.
Er irrte sich – und schickte dieser Tage Panzer und Elitetruppen in die Unruhestadt Daraa. Die Menschen dort würden Opfer eines Massakers, berichtete ein Einwohner telefonisch. „Kinder werden getötet, wir haben seit drei Tagen keinen Strom. Wir haben kein Wasser“, berichtete der Mann. In den Straßen lägen Leichen. Wie viele Menschen Assads Truppen, darunter skrupellose Scharfschützen, bereits im Zuge der Unruhen landesweit getötet haben, ist unklar. Schätzungen von Beobachtern nach sind es wohl rund 400. Der Angriff auf Daraa könnte eine brutale neue Phase einleiten, meinte die „New York Times“. 1982 hatte Baschars Onkel Rifat auf Geheiß von Hafis al-Assad die aufrührerische mittelsyrische Stadt Hama zusammenschießen und von Spezialeinheiten einnehmen lassen. Beim „Massaker von Hama“ starben bis zu 30.000 Menschen.
Das Auswärtige Amt in Berlin rät Bundesbürgern von Syrien-Reisen ab; Bundesaußenminister Guido Westerwelle verlangt ein Ende „der brutalen Gewalt gegen friedliche Demonstranten“ und bestellte Syriens Botschafter ein. Westerwelle forderte, Sicherheitsrat und Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen müssten sich mit der Lage in Syrien befassen. Die Europäische Union erwägt Sanktionen gegen das Assad-Regime; allerdings räumte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy gegenüber dem niederländischen Blatt „De Standaard“ ein, dass die EU wenig tun könne, um die syrischen Oppositionellen gegen Assad zu unterstützen.
US-Präsident Barack Obama und der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan waren sich in einem Telefonat völlig einig bezüglich Assads „inakzeptabler Gewaltanwendung gegen sein eigenes Volk“. Der britische Premier William Hague sagte, seine Regierung berate im Uno-Sicherheitsrat über „ein starkes Signal“ an Syriens Machthaber.