Nach dem Fund der Paketbomben führen Spuren die Ermittler in den Jemen, wo al-Qaida wohl Pläne für weitere Anschläge schmiedet.
Hamburg/Sanaa. Traumhaft schön ist der Jemen. Über das ehemalige Reich der Sabäer zieht sich eine der ältesten Kulturlandschaften auf der arabischen Halbinsel. Die Weihrauchstraße, der Felsenpalast von Wadi Darr, Gebirge, Wüsten und Küsten. Die Menschen in der Antike nannten das Land ehrenvoll "Felix Arabia", glückliches Arabien. Wunderschön ist der Jemen - und gefährlich.
Der jetzt nur knapp vereitelte Sprengstoffanschlag auf zwei Frachtflugzeuge wirkt wie der wuchtige Nachhall der Worte von Barack Obama: "Al-Qaida nutzt den Jemen als Drehscheibe, von der sie ihre mörderischen Vorhaben verfolgen", sagte der US-Präsident. Gerade einmal zwei Wochen ist das her. Doch letzte Zweifel über die terroristische Gefahr, die von dem arabischen Staat ausgeht, wurden schon am vergangenen Weihnachtsfest ausgeräumt. Das Terrornetzwerk al-Qaida soll von dort aus den Anschlagsversuch in einem US-Flugzeug auf dem Weg nach Detroit geplant haben. Nach US-Angaben hat der im Jemen untergetauchte Saudi Ibrahim Hassan al-Asiri damals und auch jetzt die eingesetzten Sprengsätze zusammengebaut.
Auf ihn konzentriert sich nach dem Fund der Paketbomben das Augenmerk der US-Behörden. Wie an Weihnachten 2009 und bei einem Anschlag wenige Monate zuvor auf Saudi-Arabiens Anti-Terror-Chef Prinz Mohammed bin Najef wurde auch jetzt die Chemikalie PETN eingesetzt, die auch als Sprengstoff verwendet wird. Auf Saudi-Arabiens Liste führender Terroristen von 2009 stand al-Asiri auf Platz eins. Er ist der Bruder eines Selbstmordattentäters, der beim gescheiterten Anschlag auf Prinz Najef getötet wurde.
Al-Asiri soll sich laut den Ermittlern nun im Jemen versteckt halten. Er nutzt das Land, das tatsächlich eine ideale Topografie für Terroristen bietet. Bergregionen und unzugängliche Steinwüsten eignen sich bestens für bewaffnete Überfälle auf staatliche Sicherheitskräfte und bieten zahlreiche natürliche Rückzugsorte. Vor etwa zwei Jahren bildeten Zellen der Terrororganisation in Jemen und dem benachbarten Saudi-Arabien die "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (Al-Qaeda in the Arabian Peninsula/AQAP). Damit wollten die bisher weitgehend regional agierenden Terroristen eine Basis für weltweite Anschläge schaffen.
Seitdem die Truppen der USA die Gebiete der Terroristen in Afghanistan und Pakistan aus ferngesteuerten Drohnen beschießen, ziehen sich zudem viele zurück in den Jemen. Mittlerweile verfügt AQAP aber auch über etliche ehemaliger Guantánamo-Insassen aus Saudi-Arabien, aber vor allem auch den in den USA geborenen Hassprediger Anwar al-Awlaki, der dank seines fließenden Englisch und medienwirksamen Propaganda im Internet auch mögliche Islamisten in der westlichen Welt für die Terrorarbeit im Jemen rekrutiert. Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass dort auch Islamisten aus Deutschland für den Heiligen Krieg trainiert wurden.
Entscheidend für die Ausbreitung des Terrornetzwerks ist aber, dass Jemens Zentralregierung in der Hauptstadt Sanaa längst die Kontrolle über die Bergregionen im Süden des Landes verloren hat. "Jemen ist ein sogenannter failed state, ein zerfallener Staat, wie beispielsweise auch Somalia", sagt Rolf Tophoven, Direktor des Instituts für Terrorismusforschung und Sicherheitspolitik, dem Hamburger Abendblatt. "Durch die nicht vorhandenen staatlichen Sicherheitsstrukturen können terroristische Organisationen unbehelligt Anschläge vorbereiten und Attentäter in ihren Lagern ausbilden." Die Macht von Clans verdrängt die Regierung aus diesen Gebieten - und erschwert den Einsatz gegen den Terror.
Ende September eskalierte der Kampf zwischen militanten Gruppen des Netzwerks von al-Qaida und der Regierung. Truppen der Armee beschossen die Stadt Huta in der Bergregion Schabwa im Süden des Landes, wo sie 100 Terroristen vermuteten. Mehr als drei Viertel der 20 000 Einwohner flohen aus der Stadt. Für die Menschen im Jemen wird der Kampf gegen al-Qaida zum alltäglichen Terror. Die Offensive der Armee ist eine Reaktion auf einen Sommer schwerer Anschläge von al-Qaida im Jemen, in dem die Terroristen nicht einmal davor zurückschreckten, das Gebäude des jemenitischen Geheimdienstes in Aden anzugreifen. Seit einigen Wochen setzt die Regierung auf eine neue Strategie im Kampf gegen den Terror: Sie bewaffnet Stammeskrieger - denn auch erste Clanführer haben jetzt ihre Gegnerschaft zu dem Terrornetzwerk erklärt. Doch das Bündnis mit den Stämmen ist riskant, die Loyalität der Clans zur Regierung ist ungewiss.
Doch der Druck auf die Herrschenden in Sanaa wächst: Washington forderte längst ein hartes Vorgehen gegen al-Qaida und unterstützt das Land mit Ausbildern und etwa 150 Millionen Dollar pro Jahr. Denn der Jemen ist bitterarm - und auch dies ist der Nährboden, auf dem militante Islamisten die Attentäter der Zukunft heranziehen.