Der Besuch des Bundespräsidenten war ein Erfolg. Wulffs Reise wird als potenzielle Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen gewertet.
Ankara. Wohl noch nie wurde ein deutscher Politiker in der Türkei so begeistert gefeiert wie Bundespräsident Christian Wulff. Mehr noch: Sein fünftägiger Staatsbesuch wurde im Land und auch international als diplomatisches Glanzstück und potenzielle Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen gewertet. Gleich am ersten Tag setzten Wulff und sein Amtskollege Abdullah Gül Zeichen. Der Bundespräsident drehte vor dem türkischen Parlament seinen viel zitierten Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, um: Das Christentum, so sagte er, gehöre zur Türkei. Gül seinerseits nannte sich "Präsident auch der Christen in der Türkei", so wie Wulff sich zuvor als "Präsident auch der Muslime in Deutschland" bezeichnet hatte.
In Tarsus, der einstigen Wirkungsstätte des Apostels Paulus, lobte Wulff dann die Bemühungen der türkischen Regierung, die rechtliche Stellung der Kirchen im Land zu stärken und sie bei der Ausübung ihres Glaubens sowie beim Erhalt ihrer religiösen Stätten zu unterstützen. Und bei einem offiziellen Diner im Istanbuler Dolmabahçe-Palast sprach Wulff gar von einer neuen "Brüderlichkeit" zwischen Deutschen und Türken. Europa, so sagte er, brauche die Türkei genauso wie die Türkei Europa. Am Freitag schließlich folgte zum Abschluss ein lang erwarteter Höhepunkt: Wulff und Gül legten den Grundstein für eine neue deutsch-türkische Universität. Sie wird deutsch-türkischen Akademikern eine Wirkungsstätte bieten und könnte wichtige Impulse für die Entwicklung der Türkei geben.
Der insgesamt sehr erfolgreiche Besuch des Bundespräsidenten geriet jedoch ausgerechnet bei diesem abschließenden Höhepunkt in lokalpolitische Turbulenzen: Wie die Tageszeitung "Die Welt" von Eyüp Mihcin, Chef der türkischen Architektenkammer in Ankara, erfuhr, ist die Grundsteinlegung - nach deren Ansicht - illegal. Die Universität soll auf einem Gelände gebaut werden, das bislang unter Natur- und Denkmalschutz steht. Eine Genehmigung durch die zuständige Behörde wurde jedoch nach Angaben der Kammer und von Halit Kilic, Mitglied des betroffenen Gemeinderats, bislang nicht beantragt. Der Gemeinderat selbst hat, so Kilic, auch noch nicht zugestimmt. Dem symbolischen Akt mit dem Staatsgast waren offenbar hastige Entscheidungsprozesse vorausgegangen - die Regierung hatte die Umwidmung des Geländes vor kurzer Zeit beschlossen, und so war es nicht möglich gewesen, rechtzeitig das Genehmigungsverfahren einzuleiten. Daneben könnte Ideologie eine Rolle spielen, denn das Grundstück war einst wohl ein von Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk gestifteter botanischer Garten, und die kemalistische Opposition empfindet dessen Zerstörung als Affront. Sie droht ebenso wie die Architektenkammer mit einer Klage, falls Baumaßnahmen ohne Genehmigung erfolgen. Jedenfalls bedeutet das alles, dass bis zum Beginn der Bauarbeiten noch Zeit vergehen kann - bis zu zwei Jahre kann das Genehmigungsverfahren dauern.
Das ändert nichts am Lob an Wulff, das in Deutschland auch von einer Partei kommt, die ihn gar nicht als Präsidenten haben wollte: von den Grünen. Der Bundespräsident habe in der Türkei "die richtigen Worte an den richtigen Orten gesagt, sowohl zum Integrationsthema in beiden Ländern als auch zu tatsächlich ergebnisoffenen EU-Beitrittsverhandlungen", sagte Parteichef Cem Özdemir. Er interpretierte die Äußerungen Wulffs als Signal für einen möglichen EU-Beitritt des Landes. "Denn wenn das Christentum zweifelsfrei zur Türkei gehört, wie der Islam mittlerweile zweifelsfrei zu Deutschland gehört, dann gehört die Türkei zu Europa und kann somit auch Mitglied der EU werden."
Konkret zu den Beitrittsbemühungen hatte Wulff vor dem türkischen Parlament gesagt: "Eine im Westen verankerte Türkei, die eine aktive, stabilitätsorientierte Nachbarschaftspolitik im Osten betreibt, ist als Brücke zwischen Okzident und Orient ein Gewinn für Europa. Deutschland hat ein besonderes Interesse an einer Anbindung der Türkei an die Europäische Union. Wir halten an der Entscheidung fest, die Beitrittsverhandlungen in einer fairen und ergebnisoffenen Weise zu führen."
Ob die Türkei wirklich EU-Mitglied werde, steht nach Özdemir Meinung "zwar noch in den Sternen", weil es vor allem von ihrer Erfüllung der Beitrittskriterien abhängt.