Wikileaks.org sorgt für Aufregung. Die nationale Sicherheit der USA und die der internationalen Truppen in Afghanistan könnte gefährdet sein.

Frankfurt/Main. Auf den ersten Blick wirkt die Internetseite Wikileaks.org alles andere als spektakulär. Schwarze und blaue Buchstaben auf weißem Grund - wer im Web erfolgreich sein will, gibt sich normalerweise ein bisschen mehr Mühe mit seinem Auftritt. Aber Wikileaks hat das nicht nötig. Wer so brisantes Material wie die jüngsten US-Militärprotokolle veröffentlicht, erhält ohnehin mehr Zugriffe als ihm lieb sein dürften. Zumindest dann, wenn so viele Menschen auf die Seite wollen, dass sie - wie am Montag - zeitweise gar nicht mehr zu erreichen ist.

Für weltweites Aufsehen hatte Wikileaks zuletzt im April gesorgt. Damals veröffentlichte es unter dem Titel „Collateral Murder“ ein Schwarz-Weiß-Video der US-Streitkräfte aus dem Jahr 2007. Aufgenommen aus einem amerikanischen Kampfhubschrauber, werden die Zuschauer Zeugen, wie mehrere Männer in den Straßen Bagdads von der US-Besatzung des Helikopters auf offener Straße erschossen werden, darunter auch zwei Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Reuters.

Die Soldaten hatten die Männer für Aufständische gehalten, auch wenn auf den Bildern keine Waffen eindeutig auszumachen sind. Weltweit sorgte das Video für Empörung. Nicht zuletzt wegen der ebenfalls aufgezeichneten zynischen Sprüche der Soldaten: „Schau dir die toten Bastarde an“, ruft einer. „Hübsch“, sagt ein anderer.

„Die umfassendste Beschreibung eines Krieges“

Wikileaks-Gründer Julian Assange ist sich sicher, dass die Veröffentlichung Folgen haben. Dem „Spiegel“ sagte er anlässlich der Publikation der US-Militärprotokolle: „Diese Daten sind die umfassendste Beschreibung eines Krieges, die es jemals während eines laufenden bewaffneten Konflikts gegeben hat - also zu einem Zeitpunkt, an dem man noch etwas bewirken kann.“

Der 39-jährige Australier sowie der Deutsche „Daniel Schmitt“ sind die beiden einzig bekannten Gesichter von Wikileaks. Wobei „Schmitt“ ein Pseudonym ist, wie das Wikileaks-Mitglied vor einiger Zeit in einem Interview erklärte: „Die ganze Obskurität von Wikileaks hängt nur damit zusammen, dass wir versuchen, die Überwachung unserer Personen möglichst schwierig zu machen. Es soll niemand so einfach unsere Informanten finden oder unsere Kommunikation überwachen.“

Das hat einen guten Grund, schließlich können auf der Seite anonym Dokumente hochgeladen werden die ansonsten vermutlich kaum veröffentlicht würden. Darunter E-Mails der US-Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin, Akten aus dem US-Gefängnis Guantanamo auf Kuba oder Unterlagen, die zeigen sollen, wie einige Kunden der Schweizer Privatbank Julius Bär über die Niederlassung des Geldhauses auf den karibischen Kaiman-Inseln Steuerhinterziehung und Geldwäsche betrieben haben.

Dass Wikileaks die Quellen seiner Veröffentlichungen nicht nennen will, hat wiederholt zu Kritik geführt. Schließlich ist die Glaubwürdigkeit der Dokumente für Medien und Öffentlichkeit so nur sehr eingeschränkt nachprüfbar.

Guttenberg prüft Bericht von Wikileaks über US-Elitetruppe

Unterdessen hat das Bundesverteidigungsministerium von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) die Veröffentlichung von mehr als 90.000 US-Militärdokumenten zum internationalen Afghanistan-Einsatz als „äußerst bemerkenswerten Vorgang“ bezeichnet. Dadurch könnte die nationale Sicherheit der USA und der internationalen Truppen beeinträchtigt werden, sagte der stellvertretende Ministeriumssprecher Christian Dienst. Im Ministerium werde derzeit geprüft, ob auch deutsche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt würden.

Dienst wies aber darauf hin, dass die Dokumente aus Sicht des Ministeriums keine neuen Erkenntnisse enthielten. Aus den bisher in den Medien verbreiteten Auszügen ergebe sich „nichts Neues im Sinne des Nachrichtenwerts“. Die Protokolle sollen von der Enthüllungs-Website Wikileaks veröffentlicht werden. Der „Spiegel“ sowie die „New York Times“ und der „Guardian“ aus London analysierten jeweils für sich die gewaltige Datenmenge.

Die Dokumente belegen auch die Existenz einer US-Elitetruppe zur Liquidierung von Taliban-Anführern, der „Task Force 373“, die mit rund 300 Mann auch im deutschen Zuständigkeitsbereich in Nordafghanistan stationiert ist. Ministeriumssprecher Dienst wollte die Tätigkeit der US-Spezialeinheit nicht näher kommentieren. Es gebe „Koordinationsabsprachen“ mit der Bundeswehr, damit man sich mit den unterschiedlichen Operationen nicht in die Quere komme, sagte er lediglich.

Laut „Spiegel" zeichnen die Einsatzberichte und Dokumente aus dem US-Verteidigungsministerium aus unmittelbarer Sicht der Soldaten ein „ungefiltertes Bild des Krieges“. Die afghanischen Sicherheitskräfte würden darin „als hilflose Opfer“ von Anschlägen der radikalislamischen Taliban beschrieben. Zudem zeigten die Dokumente, dass der Krieg im Norden des Landes, wo die Bundeswehr stationiert ist, immer bedrohlicher werde.

Für den Norden Afghanistans gibt es demnach zahlreiche sogenannter „Threat Reports“, Bedrohungsszenarien und konkrete Warnungen vor bevorstehenden Anschlägen. Aus den Meldungen gehe anschaulicher als aus den Informationen der Bundesregierung an den Bundestag hervor, dass die Sicherheitslage in der Region immer schlechter werde, berichtete der „Spiegel“.

Die Dokumente offenbaren demnach auch, dass der pakistanische Geheimdienst der „vermutlich wichtigste außerafghanische Helfer der Taliban“ ist. Abgesandte des pakistanischen Geheimdienstes sind dem Bericht zufolge dabei, wenn sich Aufständische zum Kriegsrat treffen und sollen auch präzise Mordbefehle erteilen, etwa gegen den afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Das Weiße Haus reagierte verärgert auf die Enthüllungen. Diese könnten „das Leben der Amerikaner und ihrer Partner gefährden und unsere nationale Sicherheit bedrohen“, sagte der Nationale Sicherheitsberater James Jones. Die Veröffentlichung sei ein Gesetzesverstoß, sagte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs. US-Präsident Barack Obama wurde Gibbs zufolge bereits vergangene Woche darauf aufmerksam gemacht, nachdem Behörden- mit Medienvertretern zusammentrafen, die Zugang zu den Unterlagen hatten. Aus den geheimen Militär-Dokumenten gingen unter anderem Namen und Einsätze hervor, sagte Gibbs. Größtenteils seien die Informationen aber nicht neu.