Das im Internet veröffentlichte Video aus dem Jahr 2007 zeigt, wie zwei Kampfhubschrauber mehr als zehn Zivilisten im Irak töten.
Washington. Wenn die Männer wüssten, was ihnen droht, würden sie ihre Kameras wegwerfen und davonrennen. So aber gehen sie mit zügigen Schritten, doch ohne Hektik eine Straße in Bagdad entlang. Den US-Kampfhubschrauber hören sie mit Sicherheit, denn er kreist in nicht allzu großer Entfernung über ihren Köpfen. Aber das sind sie gewöhnt. Sie wissen nicht, dass sie ins Fadenkreuz der Soldaten geraten sind. Die halten die Kameras der Männer für Sturmgewehre und Granatwerfer.
Die Männer sind heute tot. Die oben geschilderte Szene stammt aus einem Video, das auch zeigt, wie mehr als zehn von ihnen aus dem Hubschrauber heraus erschossen werden. Darunter sollen der 22 Jahre alte Namir Noor-Eldeen, Fotograf der Nachrichtenagentur Reuters, und sein 40-jähriger Fahrer Saeed Chmagh sein. So steht es zumindest auf der Website wikileaks.org die das von den US-Streitkräften lange geheimgehaltene Video von 2007 am Montag veröffentlicht hat.
Der Film bietet einen verstörenden Einblick in die Situation im Irak im Jahr 2007 und auf die moderne Kriegsführung in einem dicht besiedelten Gebiet. Der Zuschauer nimmt dabei die Perspektive eines US-Soldaten ein, der den Angriff vom Hubschrauber aus aufnimmt. Während die Männer noch ruhig auf der Straße laufen, diskutieren die Soldaten im Hubschrauber, ob diese gefährlich seien könnten. US-Einheiten am Boden sind unter Beschuss geraten und haben die Helikopter zu Hilfe gerufen.
Durch den Zoom der Kamera sieht der Aufklärer an Bord des Hubschraubers, dass manche der Fußgänger längliche Objekte in der Hand halten. Der Späher ist sich schnell sicher: Es müssen Sturmgewehre des Typs AK-47 und RPG-Granatwerfer sein. Die Hubschrauber bekommen den Angriffsbefehl. Hinter einer Hausecke scheint einer der Männer eine Waffe scharf zu machen – in Wahrheit wechselt er wohl nur ein Objektiv.
Der weitere Verlauf der Aktion ist deshalb so erschreckend, weil Laien sehen, wie routiniert die US-Soldaten sich an die Tötung der vermeintlichen Aufständischen machen. Der Hubschrauber bringt sich in Schussposition, die Männer am Boden stehen dicht zusammen. Als die Maschinengewehre der Hubschrauber rattern, gehen die meisten sofort zu Boden, eine Staubwolke verdeckt für kurze Zeit die Sicht.
Die hochauflösende Kamera zeigt, wie einer der Männer davonrennt. Die Macher von wikileaks.org glauben, darin den fliehenden Fotografen zu erkennen. Gegen die überlegene Technik der Hubschrauber ist er machtlos, er wird getroffen. „Ah, ja, schau dir die toten Bastarde an“, sagt einer der Soldaten.
Doch der Einsatz ist noch nicht zu Ende, die schlimmste Szene kommt noch. Chmagh, der Fahrer, liegt schwer verletzt am Boden, robbt zum Bürgersteig. Dann fährt ein Kleinbus vor, mehrere Männer wollen den Verletzten einladen. Alle Beteiligten sind offensichtlich unbewaffnet. Trotzdem schießen die Hubschrauber auf das Fahrzeug. Als sich der Staub gelegt hat, ist die Straße mit Leichen übersät. Zwischen zwölf und 15 Aufständische hätten sie erwischt, ruft der Späher in sein Mikrofon.
Die nächsten Einstellungen zeigen eine veränderte Szenerie: Die US-Bodeneinheiten sind mit Schützenpanzern und Geländewagen vorgefahren, spätestens jetzt muss ihnen klar sein, dass sie die Falschen erwischt haben. Sie bergen zwei verletzte Kinder aus dem Kleinbus. Der Soldat am Boden will sie in ein US-Lazarett bringen, doch ein Vorgesetzter gibt die Anweisung, sie in ein irakisches Krankenhaus zu bringen.
Die Aufnahmen seien echt, bestätigte ein hochrangiger Mitarbeiter der US-Streitkräfte der Nachrichtenagentur AP. Seinen Namen wollte der Informant nicht nennen. Das Pentagon wollte die Echtheit so schnell nicht bestätigen. Der Fall werde untersucht, hieß es aus dem US-Hauptquartier im Irak. Ein Sprecher des Zentralkommandos in Florida bestätigte aber, dass es keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass das Video eine Fälschung sein könnte.
Der Fall sorgt für Aufsehen und wirft ein anderes Licht auf die Berichte der US-Streitkräfte. Nach dem Vorfall am 12. Juli 2007 kam die Untersuchung des Falls zu einem klaren Ergebnis: Den Soldaten sei kein Vorwurf zu machen, weil die Aufständen oft ihre Angriffe zu Trainings- und Propagandazwecken filmten. Die Reuters-Mitarbeiter hätten sich „unter die Aufständischen gemischt“, heißt es darin. Dass die meisten Getöteten offensichtlich unbewaffnet waren und sich nicht gerade so bewegten, als wollten sie ins Gefecht ziehen, wird nicht erwähnt.