Die Staaten dürften in der Abschlusserklärung des G20-Gipfels Vorschläge gegen Wirtschaftskrisen schuldig bleiben.
Huntsville/Hamburg. Die Kosten des G20-Gipfels im kanadischen Huntsville werden auf rund 870 Millionen Euro beziffert. Doch ob sich die Investition gelohnt hat, ist mehr als fraglich, denn der internationale Streit um den richtigen Spar- und Wachstumskurs wird auch nach diesem Wochenende ungelöst bleiben. Die Gruppe der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer gibt im Entwurf ihrer Gipfel-Abschlusserklärung dazu keine klare Empfehlung. Wirtschaftswachstum sei zwar die höchste Priorität der G20-Gruppe. Gleichzeitig verpflichten sich "fortgeschrittene Volkswirtschaften", ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Dazu sollen die Defizite bis 2013 halbiert und die staatliche Schuldenquote bis 2016 stabilisiert oder vermindert werden, heißt es in dem Dokument.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) war an dem vorgeschalteten G8-Gipfel am Freitag mit ihrer Forderung abgeblitzt, eine globale Finanztransaktionssteuer und eine Bankenabgabe einzuführen. Nach der ersten Arbeitssitzung der der acht wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt bilanzierte die deutsche Regierungschefin in Huntsville: "Ich muss sagen, dass die Bereitschaft, hier etwas zu machen, nicht vorhanden war. Man muss das so hart sagen." Diese Ablehnungsfront dürfte sich am Sonnabend auf dem G20-Treffen noch verfestigen, wenn die Schwellenländer dazustießen, sagte Merkel. Bereits vor dem eigentlichen Beginn der Konferenz scheint sich damit die Vorhersage der Kanzlerin zu bewahrheiten, die schon vor ihrem Abflug nach Kanada vor einem mageren Ergebnis des Treffens gewarnt hatte.
Das Treffen in einem Luxusresort in der malerischen Umgebung der Muskoka-Region steht unter dem ungünstigen Vorzeichen eines Streits zwischen den USA und Deutschland. Während die USA das Wirtschaftswachstum durch weitere Konjunkturhilfen anschieben wollen, hat sich die Europäische Union unter dem Eindruck der Griechenlandkrise und insbesondere auf Drängen Deutschlands auf einen harten Sparkurs festgelegt. Aus amerikanischer Sicht überlassen es die Europäer damit den Vereinigten Staaten, Geld in die Weltwirtschaft zu pumpen. US-Finanzminister Timothy Geithner ging deswegen mit der EU scharf ins Gericht. In der BBC sagte er, die Welt "kann nicht mehr so von den USA abhängig sein wie in der Vergangenheit". Europa müsse sich nicht nur um den Schuldenabbau, sondern auch um mehr Wachstum kümmern.
Merkel beharrt auf ihrem Sparkurs. Die Atmosphäre sei trotzdem gut. "Die Diskussion war nicht kontrovers und sie war von gegenseitigem großen Verständnis geprägt", sagte sie in Huntsville. "Insgesamt war es eine sehr fruchtbare Diskussion." Es gehe um gemeinsame Verantwortung. Merkel: "Wir haben auch über die unterschiedlichen Herangehensweisen gesprochen. Jeder Regierungschef hat das Ziel, bei sich die Arbeitslosigkeit zu senken und das Wachstum anzukurbeln - das Ganze auf einer nachhaltigen Grundlage."
Die Europäische Union bleibe dabei, dass die Staatsdefizite reduziert und die Haushalte in Ordnung gebracht werden müssten. Nicht nur die Euro-Länder, auch Japan, Großbritannien und Russland hätten den Defizitabbau als wichtige Maßnahme gesehen. "Die Vereinigten Staaten von Amerika haben hier keinen Gegensatz aufgebaut", hob die Kanzlerin hervor. Vielmehr sei allen ihre Verantwortung für ein nachhaltiges Wachstum bewusst gewesen.
Heribert Dieter, Weltwirtschaftsexperte bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, fände ein Scheitern des Gipfels nicht beklagenswert: "Der Gipfel ist kein Fußballspiel, bei dem auf jeden Fall ein Ergebnis herauskommen muss", sagte Dieter dem Abendblatt. Ein global einheitlicher Finanzmarkt sei gar nicht unbedingt erforderlich, glaubt Dieter. "Es könnte für die Stabilität der Weltwirtschaft sogar besser sein, wenn jede Region für sich maßgeschneiderte Marktregeln entwickelt. Bei einem weltweit einheitlichen Finanzsystem breiten sich Krisen schnell aus, bei divergierenden Systemen bleiben Krisen regional begrenzt."
Auf dem Gipfel kann US-Präsident Barack Obama möglicherweise mit einem innenpolitischen Erfolg punkten. Der amerikanische Kongress hat sich gerade auf einen gemeinsamen Gesetzentwurf für eine umfassende Finanzreform verständigt. Der Entwurf sieht schärfere Kontrollen für Finanzinstitute, mehr Macht für Kontrolleure und größeren Schutz für Verbraucher vor. Der Eigenhandel der Banken wird eingeschränkt, der Handel mit komplexen Finanzinstrumenten schärferen Regeln unterworfen. Die Regierung erhält zudem neue Vollmachten, kollabierende Finanzinstitutionen zu übernehmen und abzuwickeln. Die Übereinkunft im Kongress, die beide Kammern durch ihr Votum noch absegnen müssen, gilt als Sieg für Obama. Er hatte vorgegeben, das Gesetz bis zum Unabhängigkeitstag am 4. Juli unterschreiben zu wollen.
Europäische Politiker beobachten dagegen mit Sorgen das wachsende Staatsdefizit der USA und die hohen Schulden der eigenen Mitgliedsländer. Aus diesem Grund sprach sich Angela Merkel bereits vor der Konferenz gegen mehr Konjunkturhilfen aus. Die italienische Zeitung "La Repubblica" taufte die Bundeskanzlerin daraufhin "die Spielverderberin des G20-Gipfels".