Angela Merkel und ihre EU-Kollegen wollen die Haushalte konsolidieren. US-Präsident Barack Obama sieht darin eine große Gefahr.
Toronto. Der europäisch-amerikanische Streit über die Folgen der Weltwirtschaftskrise geht beim Gipfeltreffen der führenden Industriestaaten in Kanada weiter. Der britische Premierminister David Cameron und EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso bekräftigten die europäische Forderung nach globalen Sparanstrengungen. Für eine entschlossene Haushaltskonsolidierung tritt auch Bundeskanzlerin Angela Merkel ein. US-Präsident Barack Obama sieht darin eine Gefahr für die Erholung der Weltwirtschaft.
Cameron schrieb in einem Meinungsbeitrag für die kanadische Zeitung „Globe and Mail“, die Stabilisierung des weltweiten Aufschwungs sei fraglos die wichtigste Aufgabe der G-8- und G-20-Treffen in Kanada. „Aber ich glaube, wir müssen damit anfangen, unsere nationalen Haushalte in Ordnung zu bringen“, betonte der britische Premierminister. Seine Regierung hatte erst am Dienstag ein Sparpaket vorgelegt, mit dem die öffentlichen Ausgaben um jährlich 30 Milliarden Pfund gekürzt werden sollen.
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso erklärte nach seiner Ankunft in Toronto: „Es gibt keinen Raum mehr für mehr öffentliche Ausgaben.“ Europa werde auf den Gipfeltreffen in Kanada auf Schritte zur Wiedergewinnung des Vertrauens in die Wirtschaft pochen. „Vertrauen ist notwendig für Wachstum, Jobs und nachhaltigen Wohlstand.“
Erwartungen und Enttäuschungen liegen beim Doppelgipfel in Kanada nah beieinander. Auch Kanzlerin Merkel erwartet kaum konkrete Beschlüsse. Den Teilnehmern des Doppelgipfels stand ein hartes Programm bevor – vom Kampf gegen Mütter- und Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern über das Vorgehen gegen Drogenkartelle bis zu künftigen Konsequenzen für Spekulanten als Mitverursacher weltweiter Finanzkrisen.
Merkel glaubt nicht an Wunder und ein solches müsste geschehen, damit sich die bedeutendsten Wirtschaftsmächte und Schwellenländer der Welt in Toronto auf eine Finanztransaktionssteuer einigten. Aber auch wenn die von Merkel als ein finanzpolitisches Heilmittel so gewünschte Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte nicht vereinbart wird, sieht sie sich nicht als Verliererin. Sie macht oft deutlich, dass in der globalisierten Welt ein Träumer ist, wer seine Ideen schnell durchzusetzen glaubt.
Als Verliererin sähe sie sich nur, wenn sie ihre Ziele aufgäbe. Wenn sie es nicht weiter in der gesamten Europäischen Union (EU) versuchte, diese Steuer einzuführen – oder wenigstens in den 16 Ländern, die den Euro als Währung haben. Denn die 27 Staats- und Regierungschefs der EU haben bei ihrem Gipfel vorige Woche eher wachsweich nur von einer „Prüfung“ und „Entwicklung“ dieser Steuer gesprochen.
Und wenn denn gar niemand mitziehen will, Spekulanten künftig an Kosten weltweiter Finanzkrisen zu beteiligen, dann eben im deutschen Alleingang. Das wird in der Regierung allerdings als ein sehr schlechtes letztes Mittel gesehen. Auch wenn es ein Nein zu dieser Transaktionssteuer gibt, will sich Merkel als handlungsstark erweisen. Denn dann hat alle Welt zumindest Klarheit, und Deutschland kann Plan B oder C angehen. Hauptsache keine endlosen Debatten mehr. Eine Verliererin wäre Merkel, wenn sie einknickte vor US-Präsident Barack Obama und die deutschen Sparpläne aufkündigte. Das will sie nicht tun.
Auch Merkel weiß um die Probleme Obamas wie die Arbeitslosigkeit im eigenen Land. Die USA hingen der Denkschule an, das Wirtschaftswachstum mit allen Mitteln zu fördern und sei es auf Pump, heißt es in Merkels Umfeld. So habe es auch Deutschland lange gemacht. Aber die Zeiten hätten sich geändert und die Bundesrepublik habe noch ein ganz anderes Problem. So ist Merkel überzeugt, dass es für Deutschland mit seiner niedrigen Geburtenrate und der wachsenden Zahl der Rentner keine Alternative zur Schuldenbremse gibt, wenn sich die jetzige Generation nicht an der nachfolgenden finanziell versündigen soll.
Diese Haltung wird ungeachtet der sonstigen geharnischten Kritik an der Regierung laut Umfragen von der Mehrheit der Deutschen unterstützt. Just vor dem G20-Treffen stellte sich die EU-Spitze hinter Merkels Sparpolitik. Der G20-Gipfel in Toronto sei ohnehin nur ein „Übergangsgipfel“, ein „Zwischengipfel“, wurde von deutscher Seite immer wieder betont, um die Erwartungen möglichst niedrig zu halten. So könnten am Ende alle selbst kleinste Kompromisse für sich als Erfolg interpretieren. Der „Ergebnisgipfel“ sei dann im November in Südkorea, heißt es unisono.