Nach Abschuss eines Kampfjets soll Syrien eine zweite türkische Maschine angegriffen haben. Nato trifft sich heute zu Sondersitzung.
Hamburg. Nach dem Abschuss eines türkischen Kampfjets durch die syrische Luftabwehr wird sich der Nordatlantikrat der Nato heute in einer Sondersitzung mit der Zuspitzung der Krise befassen. Die Türkei hat sich bei ihrem Antrag auf Artikel 4 der Nato-Charta berufen. Danach kann jeder Bündnispartner Konsultationen des Verteidigungsbündnisses beantragen, wenn er seine "territoriale Unversehrtheit, seine politische Unabhängigkeit oder Sicherheit" gefährdet sieht.
International wächst die Sorge vor einer Eskalation des Konflikts. Zumal Bülent Arinc, der stellvertretende Ministerpräsident der Türkei, gestern Abend in Ankara überraschend erklärte, dass ein zweites Flugzeug von den Syrern beschossen wurde. Das Rettungsflugzeug vom Typ CASA sei herbeigeeilt, nachdem die syrischen Streitkräfte den Kampfjet abgeschossen hatten. Ob das Rettungsflugzeug getroffen wurde, sagte Arinc nicht. Die syrischen Truppen hatten nach einer Warnung der türkischen Streitkräfte den Beschuss eingestellt.
+++ Kein Fall für die Nato +++
Alle Bemühungen, den Bürgerkrieg in Syrien einzudämmen, hätten nichts gefruchtet; inzwischen sei die ganze Region vom Libanon bis zur Türkei gefährdet, sagte Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin in Berlin. Die EU-Außenminister riefen alle Beteiligten dazu auf, von Gewalt abzusehen; die Union verschärfte dafür noch einmal die Sanktionen gegen das Regime in Damaskus mit Kontensperrungen und Einreiseverboten. "Eine Militärintervention steht außer Frage, auch im Kontext der Nato", sagte der niederländische Außenminister Uri Rosenthal bei EU-Beratungen in Luxemburg. Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nannte den Abschuss des türkischen Jets zwar "unverhältnismäßig", auch er betonte aber: "Deeskalation ist entscheidend."
Zum letzten Mal hatte sich ein Nato-Mitgliedstaat vor neun Jahren auf Artikel 4 berufen - es war damals auch die Türkei gewesen, nachdem die Spannungen mit dem Nachbarn Irak sich verschärft hatten. Die Allianz verlegte daraufhin Flugabwehrraketen des Typs Patriot in die Türkei.
+++ EU verschärft Sanktionen gegen Assads Regime +++
Über den genauen Hergang des Abschusses herrscht Unklarheit. Die Türkei hatte eingeräumt, dass die Maschine vom älteren Typ F-4 Phantom auf einem Übungsflug kurz "versehentlich" in den syrischen Luftraum eingedrungen ist. Der Abschuss sei dann aber über internationalen Gewässern erfolgt. Die Maschine liegt 1300 Meter tief im Mittelmeer, von der zweiköpfigen Besatzung fehlt jede Spur. Die syrische Regierung erklärte, der Jet sei in 100 Meter Höhe über syrisches Territorium geflogen, er sei nicht mit radargesteuerten Raketen, sondern mit Flugabwehrkanonen vom Himmel geholt worden: "Wir haben sofort reagieren müssen."
Nato-Experte Henning Riecke von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: "Ich habe so meine Zweifel an der Darstellung, dass da ein veralteter Kampfjet über syrischem Territorium einen Übungsflug absolviert haben soll." Aber auch Riecke geht nicht davon aus, dass deswegen eine Intervention der Nato erfolgt. "Ein weiteres Libyen-Szenario wird es nicht geben."
Indessen setzten sich ein syrischer General, zwei Oberste sowie weitere 30 Militärangehörige mit ihren Familien in die Türkei ab. Damit sind bereits 13 syrische Generäle geflüchtet.