Zusammen mit Polens Präsident Lech Kaczynski kamen bei dem Flugzeugabsturz in Russland auch andere polnische Politiker ums Leben. Regierungschef Donald Tusk sprach vom “tragischsten Ereignis in der Nachkriegsgeschichte“ seines Landes.

Warschau/Moskau. Der polnische Präsident Lech Kaczynski ist bei einem Flugzeugabsturz in Russland zusammen mit einer Delegation aus Politikern, Militärs und Finanzexperten ums Leben gekommen. Das teilte das russische Außenministerium am Sonnabend mit. Niemand habe den Absturz in dichtem Nebel überlebt, sagte der Gouverneur der Region Smolensk, Sergej Anufrijew. Kaczynski war auf dem Weg zu einer Gedenkfeier in Katyn, dem Ort eines sowjetischen Massakers an Polen im Zweiten Weltkrieg. Alle Insassen der Tupolew kamen ums Leben. Am Unglücksort sprach der russische Zivilschutzminister Sergej Schojgu von insgesamt 97 Todesopfern.

1. WIE DER ABSTURZ SICH EREIGNET HABEN SOLL

2. PORTRÄT LECH KACZYNSKI

3. KANZLERIN ANGELA MERKEL ZUM ABSTURZ

Mittlerweile ist auch die Leiche von Staatschef Lech Kaczynski geborgen worden. Das berichtete eine russische Nachrichtenagentur unter Berufung auf Sicherheitskräfte vor Ort. Russlands Ministerpräsident Wladimir Putin ordnete an, die Leichen der Absturzopfer zur Identifikation nach Moskau zu bringen. Dies gelte auch für die Leiche Kaczynskis, sagte ein Sprecher Putins.

In Warschau und anderen Hauptstädten herrschte tiefe Betroffenheit. Regierungschef Donald Tusk rief das Kabinett zu einer Sondersitzung zusammen. Tusk stand in direkter Verbindung mit Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski, der nach der polnischen Verfassung die Amtsgeschäfte des Staatschefs übernommen hat. Komorowski ordnete eine Woche Staatstrauer an. Außer dem Präsidenten-Ehepaar kamen bei dem Absturz in Smolensk Vize-Parlamentschef Jerzy Szmajdzinski, Vize-Außenminister Andrzej Kremer, der Chef des Generalstabs, Franciszek Gagor, mehrere Parlamentarier sowie die engsten Mitarbeiter Kaczynskis ums Leben. Gestorben sei die „Elite der Nation“, sagte Ex-Präsident Lech Walesa.

An der Unglücksstelle südlich der westrussischen Stadt Smolensk lagen zahlreiche Wrackteile des in den polnischen Farben Rot und Weiß gestrichenen Flugzeugs vom Typ TU-154 verstreut. Ermittler sagten, es sei zu früh, um über die Gründe der Katastrophe zu spekulieren. Der Flugschreiber sei sichergestellt. Zuvor hatten Moskauer Medien von einem möglichen Fehler des Piloten berichtet.

Zuvor vier gescheiterte Landeversuche in dichtem Nebel

Zum Zeitpunkt des Absturzes um 10.50 Uhr Ortszeit (8.50 MESZ) herrschte nach Angaben des Zivilschutzministeriums dichter Nebel. Die aus Warschau kommende Maschine war im Landeanflug gewesen, als sie auf Baumwipfel prallte. Das Flugzeug war zuletzt im Dezember in der Werkstatt zur Generalüberholung, wie der Generaldirektor der russischen Flugzeugfirma Awiakor, Alexej Gussew, sagte. Die Maschine habe die auf den TU-154-Bau spezialisierte Werkstatt in tadellosem Zustand verlassen. Die Wartung sei in polnischen Händen gewesen, sagte Gussew.

Der Pilot der Präsidentenmaschine hatte offenbar vier Landeversuche unternommen. Der Flughafen in der Nähe der Stadt Smolensk sei technisch in einwandfreiem Zustand gewesen. Wegen des Nebels soll dem Piloten angeboten worden sein, in der weißrussischen Stadt Minsk oder in Moskau zu landen oder nach Warschau umzukehren, berichteten russische Medien. Aber die Besatzung habe dann eine unabhängige Entscheidung getroffen, in Smolensk zu landen. Demnach habe der Pilot eigenmächtig gehandelt. Das Flugzeug war in einen Wald gestürzt.

Russland verspricht Aufklärung

Kremlchef Dmitri Medwedew zeigte sich erschüttert über die Katastrophe und versprach Aufklärung. Er setzte eine Untersuchungskommission unter Leitung von Regierungschef Wladimir Putin ein. Putin wollte an den Unglücksort reisen und dort auch Tusk treffen, meldete die Agentur Interfax am Sonnabend.

Kaczynski (60) wollte mit einer Delegation an der Gedenkfeier für die Ermordung von tausenden polnischen Soldaten durch den sowjetischen Geheimdienst NKWD vor 70 Jahren im russischen Katyn teilnehmen. Dort hatte es bereits am Mittwoch eine Gedenkfeier mit Putin und Tusk gegeben - der Putin-Kritiker Kaczynski, der seit Dezember 2005 Präsident war, war nicht eingeladen worden und wollte nun drei Tage später des Massakers gedenken.

Ebenso wie andere Europäische Regierungschefs sprach Bundeskanzlerin Angela Merkel dem polnischen Ministerpräsidenten Tusk ihr tiefes Beileid aus. „Mit großer Bestürzung und Trauer habe ich von der fürchterlichen Katastrophe erfahren“, schrieb Merkel. „Ich wünsche Ihnen, allen Angehörigen der Toten und allen Polen Trost und Kraft. Ganz Deutschland steht in dieser schweren Stunde in Mitgefühl und Solidarität an Ihrer und der Seite Polens“, betonte Merkel.

Der polnische Parlamentspräsident Bronislaw Komorowski hat nach dem Tod von Präsident Lech Kaczynski und weiterer Politiker beim Flugzeugabsturz in Smolensk eine einwöchige Staatstrauer angeordnet. Komorowski appellierte an die Eintracht des Landes. „Es gibt heute keine Rechte und keine Linke, keine Differenzen“, betonte der Parlamentschef, der nach der Verfassung die Geschäfte des Staatsoberhaupts übernommen hat.

Nach dem Tod des polnischen Staatschefs Lech Kaczynski müssen nun bis Ende Juni Präsidentenwahlen stattfinden. Die Verfassung sieht für den Fall, dass ein amtierender Staatschef stirbt, Neuwahlen binnen zwei Monaten vor. Regulär hätten im Herbst Präsidentenwahlen in Polen stattgefunden.

Medwedew übermittelt Polen in Rede Beileid

Kremlchef Dmitri Medwedew wandte sich am späten Nachmittag mit einer bewegenden Fernsehansprache an das polnische Volk. Er verspreche die sorgfältige Aufklärung der Tragödie in Zusammenarbeit mit den Behörden in Warschau, sagte der sichtlich betroffene Präsident.

„Im Namen des russischen Volkes übermittle ich dem polnischen Volk tiefes und aufrichtiges Beileid und sage den Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer Unterstützung zu“, sagte Medwedew weiter. Alle Bürger Russlands seien erschüttert über die furchtbare Tragödie. Für kommenden Montag wurde in Russland Staatstrauer angeordnet.

Die Rede des Kremlchefs dürfte auch deswegen in Warschau besondere Beachtung finden, weil die Beziehungen zwischen Russen und Polen als schwierig gelten. Das Verhältnis hatte sich aber zuletzt gebessert.