Afghanistans Ex-Außenminister Abdullah will seinem Land “weiter dienen“. Diplomaten erwarten seine Regierungsbeteiligung.
Hamburg. Herzliche Glückwünsche klingen anders: "Wir gehen davon aus, dass diese Entscheidung im Einklang mit der afghanischen Verfassung und dem Wahlgesetz getroffen worden ist" - mit diesen sperrigen Worten gratulierte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle dem neuen und alten afghanischen Präsidenten Hamid Karsai (51). Zuvor hatte der Chef der Karsai-nahen Wahlkommission (IEC) die für Sonnabend geplante Stichwahl abgesagt und den Amtsinhaber zum offiziellen Sieger erklärt.
Karsais Herausforderer, Ex-Außenminister Abdullah Abdullah, hatte bereits am Wochenende aus Protest gegen mögliche neue Manipulationen bei der Wahl seine Kandidatur zurückgezogen. Damit hätte Karsai keinen Gegenkandidaten, die Afghanen keine Wahl gehabt. Der Ausgang, so spotten Diplomaten, wäre damit klar gewesen: 90 Prozent für Karsai bei einer grotesk niedrigen Wahlbeteiligung. Für so eine Wahl Geld auszugeben und Leben zu riskieren wäre "lächerlich" gewesen, sagte ein westlicher Diplomat und verwies auf massive Drohungen der Taliban mit einer neuen Anschlagsserie.
Mit Karsai hat Afghanistan nun für die nächsten fünf Jahre einen Staatschef, dem der Ruf anhaftet, nur aufgrund einer von Betrug geprägten ersten Runde gewonnen zu haben. Trotzdem ist es vorerst der letzte Ausweg vor dem endgültige Chaos in dem Land am Hindukusch.
Fast ein Drittel der Karsai-Stimmen bei der Wahl am 20. August hat die Beschwerdekommission als Fälschungen annulliert. Nach dem bereinigten Endergebnis hatte er mit 49,67 Prozent gut 20 Prozentpunkte vor Abdullah gelegen, die absolute Mehrheit aber knapp verfehlt. Daher war eine Stichwahl zwischen Karsai und Abdullah notwendig geworden. Nach dem Rückzug Abdullahs erklärte nun die Wahlkommission, Mehrheit sei Mehrheit und die Verfassung enthalte keine Regelung für den Fall, dass sich ein Kandidat vor der Stichwahl zurückzieht. "Wir erklären Hamid Karsai zum gewählten Präsidenten des Landes", sagte IEC-Chef Asisullah Ludin. Ludin war ein zentraler Grund dafür, warum sich Abdullah aus der Stichwahl zurückzog. Der Herausforderer beschuldigte ihn, mitverantwortlich für den massiven Betrug bei der ersten Wahlrunde gewesen zu sein und forderte seine Entlassung. Karsai lehnte dies allerdings ab. Auch die internationale Gemeinschaft wertete die IEC-Kommission als parteiisch.
Uno-Generalsekretär Ban Ki-moon, der gestern zu einem Überraschungsbesuch in Kabul eingetroffen war, begrüßte dennoch die Entscheidung der IEC. "Das ist ein schwieriger Prozess für Afghanistan gewesen, und Lektionen müssen gelernt werden", sagte Ban. "Afghanistan steht vor entscheidenden Herausforderungen, und der neue Präsident muss eine Regierung bilden, die sich die Unterstützung des afghanischen Volkes und der internationalen Gemeinschaft" erwerbe. Ban kam mit Karsai und Abdullah zu getrennten Gesprächen zusammen. In Kabul heißt es, Abdullah und Karsai seien in Gesprächen über eine Regierungsbeteiligung. Karsai, dem es an Führungsstärke mangelt und dessen bisherige Regierung als korrupt gilt, hat bislang Bereitschaft signalisiert, frühere Gegner in sein Kabinett aufzunehmen. Westliche Beobachter sehen die Aufnahme des Tadschiken Abdullah in die Regierung des Patschtunen Karsai sogar als Schlüssel für eine gewisse politische Stabilität.
Abdullah-Sprecher Sayed Fasel Sangcharaki sagte nach Bekanntgabe der IEC-Entscheidung: "Wir haben nicht mehr als das von der Wahl erwartet." Abdullah selbst hatte gegenüber CNN gesagt, er sei bereit, "diesem Land weiter zu dienen". Eine Erklärung Abdullahs ist für heute angekündigt. Ein Berater von US-Präsident Barack Obama sagte der "New York Times", jetzt komme es darauf an, ob Karsai in der Lage sei, die Korruption zu bekämpfen und die afghanischen Sicherheitskräfte zu einer Armee aufzubauen, "die ihre Soldaten nicht schneller verliert als wir sie ausbilden können". Entscheidend seien die nächsten sechs Monate, sagte der Berater mit Blick auf die Forderung des Afghanistan-Kommandeurs Stanley McChrystal, die amerikanischen Truppen um bis zu 44 000 Soldaten aufzustocken. Obama, der von Karsai sagt, dieser habe den Bezug zum eigenen Land verloren, hatte die Entscheidung einer Truppenverstärkung von einer Lösung des politischen Patts in Kabul abhängig gemacht. In den USA wächst die Ablehnung eines noch größeren militärischen Engagements, zumal die USA einen immer höheren Blutzoll in Afghanistan zahlen. 59 US-Soldaten sind allein im Oktober getötet worden, so viele wie in keinem Monat zuvor seit Beginn des Einsatzes vor acht Jahren.