Der SPD-Außenexperte Hans-Ulrich Klose analysiert für das Hamburger Abendblatt die wichtigsten Passagen aus der Antrittsrede des neuen US-Präsidenten Barack Obama. Im Folgenden Wortlautauszüge aus Obamas Rede im Wechsel mit Kloses Anmerkungen.
Obama: Dass wir uns mitten in einer Krise befinden, weiß inzwischen jeder. Unsere Nation ist im Krieg, gegen ein weitreichendes Netzwerk von Hass und Gewalt. Unsere Wirtschaft ist sehr geschwächt, als Konsequenz der Gier und Verantwortungslosigkeit einiger weniger -aber auch wegen unseres kollektiven Versagens, harte Entscheidungen zu treffen und das Land auf ein neues Zeitalter vorzubereiten ... Heute sage ich euch, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, ... sind ernsthaft, und sie sind zahlreich. Sie werden nicht leicht oder kurzfristig zu meistern sein. Aber wisse, Amerika: Wir werden sie meistern. An diesem Tag kommen wir zusammen, denn wir haben die Hoffnung über die Angst gestellt, das gemeinsame Ziel über Uneinigkeit und Zwietracht.
Klose: Barack Obama hat so geredet, wie er in der gesamten Kampagne gesprochen hat. Er hat die Probleme dieses Landes beim Namen genannt und analysiert. Er hat aber gleichzeitig gesagt, dass dieses Land die Kraft habe, das zu überwinden. Und im weiteren Verlauf der Rede hat er das amerikanische Beispiel beschrieben. Genau das ist der Kern der Rede. Dass sich ein junges Land langsam, aber in erstaunlich kurzer Zeit zu der mächtigsten und wohlhabendsten Nation der Welt entwickelt hat. Ein Land, gegründet auf Werte, die nach Obamas Worten nicht den Notwendigkeiten des Kampfes geopfert werden, wie immer die Herausforderungen sind und wie groß die Bedrohung ist.
Obama: Wir bleiben eine junge Nation, doch nach den Worten der Schrift ist jetzt die Zeit da, Kindereien beiseitezulassen. Die Zeit ist gekommen, unseren fortdauernden Geist zu bestärken, unsere bessere Geschichte zu wählen, dieses wertvolle Geschenk, diese noble Idee weiterzutragen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurde: das gottgegebene Versprechen, dass alle gleich sind, alle frei sind, dass alle eine Chance verdienen, ihr volles Maß an Glückseligkeit zu erstreben.
Klose: Das ist in Wahrheit die Stärke der Vereinigten Staaten. Die Amerikaner definieren die Würde vom Individuum her - und die Fähigkeit zu handeln auch vom Individuum her. Daraus ist Amerika hervorgegangen. Und das unterscheidet dieses Land auch wesentlich von anderen Ländern, die ihre Würde eher von der Nation her definieren. Amerika ist ein Land der freien Indivi-duen.
Obama: Was unsere gemeinsame Verteidigung angeht, weisen wir die Wahl zwischen Sicherheit und unseren Idealen zurück. Unsere Gründungsväter entwarfen eine Verfassung, die Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte festschreibt ... Diese Ideale geben der Welt bis heute Orientierung ... und so wende ich mich an all die Völker und Regierungen, die heute zuschauen, von den größten Hauptstädten bis zu dem kleinen Dorf, in dem mein Vater geboren wurde: Amerika ist ein Freund jeder Nation und jedes Mannes, jeder Frau und jedes Kindes, die eine Zukunft in Frieden und Würde anstreben, und wir sind einmal mehr bereit, die Führung zu übernehmen.
Klose: Das ist ein großes Angebot. Das ist aber auch die Einladung, Mitverantwortung zu übernehmen. Obama wird mit den Europäern möglichst eng zusammenarbeiten. Es wird mit Sicherheit gute Dialoge geben, auch Absprachen, wie man am besten vorgehen soll. Damit zieht der neue Präsident Lehren aus den Problemen, die es während der Bush-Administration gab, als diese Zusammenarbeit nicht so funktionierte, wie sie hätte funktionieren sollen. Da gab es keine politische Beteiligung anderer, stattdessen kam der Spruch: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns." Das war ein gefährliches Motto des vorangegangenen Präsidenten.
Obama: An die muslimische Welt - wir suchen einen neuen Weg nach vorn, basierend auf gegenseitigem Interesse und gegenseitigem Respekt. An jene Führer weltweit, die Zwietracht säen wollen oder die Probleme ihrer Gesellschaft dem Westen anlasten - wisst, dass euer Volk euch danach beurteilt, was ihr aufbauen könnt - nicht danach, was ihr zerstören könnt.
Klose: Das ist die amerikanische Botschaft. Die Worte Obamas richten sich unmittelbar an die Völker. Wenn man mit den Menschen in der muslimischen Welt spricht, im Iran zum Beispiel, ist unter der Hand und nicht öffentlich gezeigt eine große Bewunderung für Amerika zu spüren. Weil Amerika ein Beispiel für Modernität und Freiheit ist, das Streben nach Glück ist in der amerikanischen Verfassung verankert. Obama hat ausdrücklich erwähnt, dass jeder Mensch in der Welt den Anspruch auf ein größtmögliches Maß an persönlichem Glück hat.
Obama: Die Herausforderungen, vor denen wir stehen, mögen neu sein. Die Instrumente, mit denen wir sie meisten wollen, mögen ebenfalls neu sein. Aber die Werte, von denen unser Erfolg abhängt - harte Arbeit und Ehrlichkeit, Mut und Fairplay, Toleranz und Neugier, Loyalität und Patriotismus - diese Dinge sind alt. Diese Dinge sind wahr. Sie waren die stillen Kräfte unseres Fortschritts in derGeschichte. Was gefragt ist, isteine Rückkehr zu diesen Wahrheiten ...
Klose: Der neue US-Präsident Obama meint das auch so. Darum sollten wir fest mit ihm verbunden sein.
Obama: Das ist der Ursprung unseres Zutrauens - das Wissen, dass Gott uns aufruft, eine ungewisse Zukunft zu gestalten. Das ist die Bedeutung unserer Freiheit und unser Credo - darum können Männer und Frauen und Kinder jeder Rasse und jedes Glaubens an der Feier auf dieser großartigen Mall teilnehmen. Darum kann ein Mann, dessen Vater hier vor weniger als 60 Jahren nicht einmal in einem Lokal bedient worden wäre, nun vor euch stehen und diesen heiligen Eid schwören ... Amerika. Angesichts der gemeinsamen Bedrohungen, in diesem Winter unserer Bedrängnis, lasst uns ... mit Hoffnung und Tugend den eisigen Strömungen trotzen und aushalten, was immer an Stürmen kommen mag. Lasst es von unseren Enkeln gesagt sein, dass wir - ... den Blick zum Horizont gerichtet und Gottes Gnade über uns - jenes große Geschenk der Freiheit vorantrugen und sie künftigen Generationen wohlbehalten weitergaben.
Klose: Das ist der revolutionäre Kern dieses Vorgangs. Die Amerikaner haben mit dieser Wahl ihr historisches Trauma überwunden: dass sie nämlich ihren Wohlstand zu einem Teil Sklaven verdanken und sie diesen Sklaven die gleichen Rechte und die Freiheit vorenthalten haben. Die Stärke Amerikas liegt heute darin, dass das Land alle Zuwanderer eingeschlossen hat, jeder hat einen Beitrag geleistet und jeder bekommt eine Chance. Insgesamt war Obamas Rede ein Aufruf, basierend auf der Geschichte Amerikas, nicht zu verzagen, sondern auf der Grundlage von Idealen und Werten neue Wege zu suchen. Nicht nur für Amerika, sondern um eine bessere Welt zu schaffen. Und da hat Amerika Führung angeboten. Deutschland ist gut beraten, eng mit den USA als verlässlichem Partner zusammenzuarbeiten. Wenn man auf dieGeschichte der letzten 50 Jahre zurückblickt: Es war gut, dass wir diesen Partner hatten.