Nach einem erneutem Massaker mit 80 Toten in Hama ist wieder einmal eine neue Stufe der Gewalt in Syrien erreicht. UN-Beobachter angegriffen.
Damaskus/Istanbul. Sie wurden mit Knüppeln erschlagen und mit Messern massakriert: Eineinhalb Wochen nach dem Massaker von Al-Hula sind nach Angaben von Aktivisten in Al-Kobeir in der syrischen Provinz Hama erneut 80 Menschen auf teils bestialische Weise umgebracht worden. Bei dem Blutbad seien am Mittwoch in der kleinen Siedlung 22 Kinder, 20 Frauen und 38 Männer getötet worden. UN-Beobachter wurden vom Militär auf dem Weg nach Al-Kobeir gestoppt und von Unbekannten aus Handfeuerwaffen beschossen. International stieß das Massaker auf scharfe Kritik. Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat nach den Worten von UN-Generalsekretär Ban Ki Moon inzwischen seine Legitimität als Staatsführer verloren.
Sondervermittler Kofi Annan hat Folgen für die syrische Regierung wegen der Missachtung des Friedensplanes gefordert. Die Nichteinhaltung der UN-Resolutionen 2042 und 2043 müsse „Konsequenzen“ haben, sagte Annan nach Angaben von Diplomaten am Donnerstag (Ortszeit) in einer geschlossenen Sitzung des UN-Sicherheitsrates in New York. Welche Konsequenzen genau das sein könnten, ließ er offen.
Die internationale Gemeinschaft müsse seine Bemühung gemeinsam unterstützen und Druck machen, sagte Annan. Westliche Diplomaten werteten das als eine Aufforderung, seinen Sechs-Punkte-Plan mit einer Sanktionsdrohung zu verbinden. Das scheiterte bislang vor allem an Russland. Vorher hatte sich Annan im Rat ähnlich pessimistisch wie zuvor in der Vollversammlung geäußert: Die Gewalt der Regierung habe zugenommen, auch der Einsatz schwerer Waffen.
„Tausende Syrer wurden getötet und ganze Familien ausgelöscht. Männer, Frauen und selbst Kinder wurden hingerichtet. Jedes Regime, das solche Taten zulässt, hat keine Legitimität mehr“, sagte Ban am Donnerstag auf einer Sondersitzung der UN-Vollversammlung in New York. „Wir sind schockiert von einem neuen Massaker in einem Dorf, das von Streitkräften des Regimes umzingelt war. Wir verurteilen diese unaussprechliche Barbarei und fordern eine Bestrafung der Schuldigen.“ Ban sagte zu dem Massaker an den Zivilisten: „Sie wurden erschossen, einige offensichtlich verbrannt oder mit Messern aufgeschlitzt.“
Ban warf Assad vor, den international vereinbarten Friedensplan nicht zu respektieren. Zudem sei UN-Diplomaten die Einreise verweigert worden. „Das ist nicht akzeptabel!“
Auch Sondervermittler Kofi Annan zeigte sich über das Massaker schockiert und räumte ein, dass sein Friedensplan für Syrien auch nach knapp drei Monaten nicht greift. „Ich muss es so frei und deutlich sagen: Der Sechs-Punkte-Plan wurde nicht umgesetzt“, sagte er bei der Sondersitzung in New York. „Die Krise hat sich verschärft, die Gewalt nimmt zu und das Land ist zerrissener denn je.“
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Die syrischen Regimegegner forderten nach dem Massaker von Al-Kobeir die Vereinten Nationen auf, militärisch einzugreifen. Derartige Einsätze kann jedoch nur der UN-Sicherheitsrat anordnen, der am Donnerstagabend erneut über die Lage in Syrien beraten wollte. Dort blockieren allerdings die Veto-Mächte Russland und China bislang ein härteres Vorgehen gegen das Assad-Regime. US-Außenministerin Hillary Clinton rief Russland in Istanbul auf, einen Plan für eine geordnete Übergabe der Macht in dem arabischen Land zu unterstützen.
Nach Angaben von Aktivisten umstellte die Armee die nur aus 25 Häusern bestehende Siedlung Al-Kobeir erst mit Panzern und beschoss sie eine Stunde lang. Anschließend habe man Milizionäre aus dem Nachbardorf Al-Asile in die Siedlung geschickt, um die Überlebenden mit Messern zu massakrieren. Ein Augenzeuge sagte der dpa, viele der Opfer seien mit Knüppeln erschlagen worden. Filmmaterial auf oppositionellen Webseiten zeigt Körper von Kindern, die bis zu Unkenntlichkeit verbrannt sind. In anderen Berichten hieß es, 30 der Männerleichen seien von Milizionären abtransportiert worden.
Erst kürzlich hatte ein Blutbad in der Nähe von Homs international für Empörung gesorgt. In Al-Hula waren mehr als 100 Menschen getötet worden.
Die UN-Vetomächte China und Russland sowie ihre vier zentralasiatischen Partnerländer erklärten zum Ende des Gipfels der Shanghaier Kooperationsorganisation (SCO) in Peking, sie lehnten „eine bewaffnete Intervention oder einen erzwungenen Regimewechsel“ ab. Außerdem seien sie gegen „einseitige Sanktionen“, die nur gegen das Assad-Regime gerichtet seien.
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Der oppositionelle Syrische Nationalrat (SNC) rief die Deserteure der Freien Syrischen Armee, die bewaffneten Widerstandsgruppen und die lokalen Protestgruppen auf, stärker aktiv zu werden. Dadurch sollen die Regimetruppen abgelenkt und gezwungen werden, ihre Angriffe auf Dörfer in Hama, Latakia und Homs einzustellen.
Die Organisation Syrischer Menschenrechtsbeobachter rief die UN-Beobachter auf, sich vor Ort ein Bild zu machen. Sollten sie dazu nicht in der Lage sein, „dann sagen wir ihnen: „Danke, Ihr könnt in Eure Heimatländer zurückkehren„“, hieß es. Ein in der Stadt Hama stationiertes Beobachter-Team machte sich am Morgen nach Angaben eines Sprechers auf den Weg nach Al-Kobeir, wurde aber aufgehalten.
Der Leiter der UN-Beobachtermission, General Robert Mood, erklärte: „Sie werden an Straßensperren der syrischen Armee gestoppt und zum Teil auch zurückgeschickt. Einige unserer Patrouillen werden von Zivilisten in dem Gebiet aufgehalten. Wir erhalten Informationen von Bewohnern in dem Bezirk, dass die Sicherheit unserer Beobachter nicht gesichert ist, wenn wir das Dorf Al-Kobeir betreten“. Nach Informationen des UN-Generalsekretärs wurden die Beobachter zudem von Unbekannten aus Handfeuerwaffen beschossen. Die Beobachter wollten dennoch weiter versuchen, in das Dorf zu gelangen.
Die staatliche Nachrichtenagentur Sana dementierte die Berichte der Opposition. Sie erklärte, „bewaffnete Terrorgruppen“ hätten die Siedlung überfallen und dort neun Frauen und Kinder getötet. Ihr Ziel sei es offensichtlich gewesen, vor der Sitzung im Sicherheitsrat „Druck auszuüben“. Daraufhin seien die Regierungstruppen dort aufmarschiert. Bei einem anschließenden Gefecht seien mehrere der Angreifer und zwei Angehörige der Regierungstruppen getötet worden. Eine unabhängige Überprüfung der Angaben ist nicht möglich.
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Außenminister Guido Westerwelle warnte unterdessen vor einem Übergreifen des Syrien-Konflikts auf den Libanon. „Die Gefahr, dass auch die Nachbarstaaten angesteckt werden, ist groß“, sagte Westerwelle vor einem Besuch im Libanon am Donnerstag in Istanbul. (dpa/abendblatt.de)