Der bodenständige Sozialist François Hollande wird neuer französischer Staatspräsident. Korrekturen an europäischer Sparpolitik erwartet.
Paris. Der Machtwechsel in Frankreich ist perfekt. 24 Jahre nach dem Wahlsieg von François Mitterrand zieht mit François Hollande wieder ein Sozialist als Staatspräsident in den Pariser Élysée-Palast ein. Nach Hochrechnungen erreichte Hollande mit 52 Prozent der Stimmen vier Prozent mehr als der bisherige Amtsinhaber Nicolas Sarkozy. Der gestand seine Niederlage ein und kündigte an, sich aus der Politik zurückziehen zu wollen. "Nach 35 Jahren in der Politik wird mein Platz nicht mehr derselbe sein. Mein Leben wird ein anderes sein", sagte er vor seinen Anhänger in Paris.
+++Phase der Neuorientierung+++
+++Lächeln und Wangenküsschen: Hollande hat gewählt+++
Bei den Anhängern der Sozialisten brach nach Bekanntwerden des Resultats Jubel aus. Vor der Parteizentrale in Paris versammelten sich am Sonntagabend Zehntausende Menschen, schwenkten vor laufenden Fernsehkameras die Trikolore und die Fahne der Sozialistischen Partei. Autokorsos setzten sich von der Parteizentrale in Richtung Bastille-Platz in Bewegung, wo am Abend eine Wahlparty veranstaltet wurde. An der gleichen Stelle - dem Symbol der Französischen Revolution - hatte die Partei einst auch den Wahlsieg von Mitterrand gefeiert. Am späten Abend wurde auch Hollande dort erwartet. Er flog vom zentralfranzösischen Ort Tulle nach Paris ein.
Der Gaullist Sarkozy wurde offenbar nicht zuletzt deswegen abgewählt, weil die unter der Krise leidenden Franzosen das sprunghafte Verhalten des zum Luxus neigenden Präsidenten satthatten. Auch hat Sarkozy seinen fremdenkritischen Kurs, mit dem er der rechtsextremen Marine Le Pen Stimmen abjagen wollte, überzogen. "Irgendwann sind die Leute das Spektakel leid", sagt Henrik Uterwedde, Vizechef des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. Hollande erinnere ihn an den SPD-Politiker Olaf Scholz, der in Hamburg an die Spitze gewählt wurde. "Er ist ein durch und durch professioneller Politiker."
Frankreich hat unter der Wirtschaftskrise stark gelitten und ist hinter Deutschland zurückgefallen. Vor allem die Arbeitslosigkeit stieg sprunghaft an; Sarkozy hat sein Versprechen, die Rate zu halbieren, nicht halten können. Mit der Präsidentenwahl in Frankreich hat die Debatte über mehr Wachstumsimpulse zur Bekämpfung der Krise in Europa noch einmal an Fahrt gewonnen.
+++Der Anti-Sarkozy+++
Der Sieg Hollandes bedeutet nun einen Richtungswechsel, der auch Deutschland und die EU betrifft. Der künftige Präsident würde am liebsten den europäischen Fiskalpakt aufkündigen, um neue Schulden für mehr Wachstumsimpulse machen zu können. Sein Kurs stößt in Berlin auf Widerstand, allerdings signalisierte die Regierung von Kanzlerin Angela Merkel bereits Entgegenkommen. "Wir werden uns nach der Wahl zügig an die Arbeit machen, um dem Fiskalpakt für weniger Schulden einen Wachstumspakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit hinzuzufügen", sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble signalisierte Konpromissbereitschaft. "Die EU-Strategie beinhaltet von Anfang an zwei Säulen, um den beiden Ursachen der Krise Herr zu werden: Defizitreduzierung und Reformen, um die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und damit Wachstum zu schaffen", sagte der CDU-Politiker. Auch aus dem Lager von Hollande kamen kompromissbereite Töne. Er selber wollte noch in der Nacht mit der deutschen Kanzlerin telefonieren.
Über die von Hollande geforderten Wachstumsimpulse wird seit Wochen in Europa gestritten. Dabei mehren sich Stimmen, die neben der bisherigen Strategie auch neue Initiativen zur Schaffung von Wachstum und Arbeitsplätzen fordern. Vor diesem Hintergrund warnte Schäuble die Staaten der Euro-Zone vor neuen Konjunkturprogrammen, die durch Schulden finanziert würden. "Das wäre so wie ein Schwur, sich bessern zu wollen, aber vorher noch etwas zu sündigen", sagte Schäuble dem "Focus". Die Konsolidierung der Haushalte sei Voraussetzung für gesundes Wachstum. EU-Binnenmarktkommissar Michel Barnier warnte vor einer Abkehr von der Euro-Strategie. "Die Stabilitätskultur Deutschlands muss alle Länder Europas durchdringen", sagte der Franzose der "Wirtschaftswoche". Der Fiskalpakt müsse von allen Ländern so schnell wie möglich ratifiziert und umgesetzt werden. Barnier bezeichnete das Regelwerk als eine "Hausordnung, die wir schon vor zehn Jahren hätten einführen sollen".
Die luxemburgische EU-Justizkommissarin Viviane Reding sagte, sie sei zuversichtlich, dass Paris den Fiskalpakt respektieren werde. "Der Fiskalpakt ist von 25 EU-Staaten, auch von Frankreich, unterschrieben worden, und die ersten Staaten haben ihn bereits ratifiziert", sagte sie der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung". Hollande will Euro-Bonds einführen und fordert, dass die Europäische Zentralbank Staaten direkt Geld leihen kann. Er will 150 000 Stellen im öffentlichen Dienst schaffen, allein 60 000 davon im Schuldienst, die Renten- und Verwaltungsreform zurückdrehen, den Mindestlohn anheben, Reiche mit 75 Prozent besteuern und die Arbeitskosten für Überstunden verteuern. Außerdem sollen langjährige Mitarbeiter wieder mit 60 in Rente gehen können.
Kritiker sehen darin Maßnahmen, die Frankreichs Wirtschaft noch weiter hinter die deutsche zurückfallen lassen könnten. In Berlin und Brüssel geht man davon aus, dass er seine teuren Wahlversprechen gar nicht einhalten kann. "Mitterrand hatte 1981 eineinhalb Jahre Zeit zur Kurskorrektur", sagte der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok. Hollande blieben dafür allerdings nur noch die zehn Tage bis zur Amtseinführung.