Die Griechen stimmen über die politische Zukunft des maroden Staates ab. Die aussichtsreichsten Parteien und ihre Positionen auf abendblatt.de.
Athen. Griechenlands politische Zukunft steht zur Wahl: Vor dem Hintergrund der schwersten Finanzkrise in der griechischen Geschichte können am Sonntag knapp 9,7 Millionen Wahlberechtigte über die Zusammensetzung des neuen Parlaments abstimmen. Die Abstimmung gilt als richtungsweisende Entscheidung über das harte Sparprogramm, das dem gebeutelten Land auferlegt wurde. 32 Parteien treten bei den Wahlen am 6. Mai an.
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Bei der Abstimmung wird eine Zersplitterung der bisherigen Parteienlandschaft erwartet. Vor allem den beiden Traditionsparteien, den Konservativen und den Sozialdemokraten, wird ein starker Stimmenverlust und damit auch der Verlust ihrer bisherigen Vormachtstellung vorausgesagt. Sie bleiben in Umfragen zwar die stärksten Parteien, müssten aber nach den Wahlen eine große Koalition bilden. In Griechenland sind Koalitionsregierungen eher selten. Da aber diesmal allen Umfragen nach keine Partei die absolute Mehrheit zu erreichen scheint, machen sich die Griechen auf Koalitionsverhandlungen gefasst. Insgesamt dürften diesmal bis zu zehn Parteien ins Parlament einziehen, darunter auch Vertreter des extremen linken und rechten Spektrums.
Es herrscht Wahlpflicht. Eine Briefwahl ist nicht möglich. Das Wahlsystem ist eine Mischung aus einfacher und verstärkter Verhältniswahl, bei der die erste Partei begünstigt wird. 250 der 300 Sitze im Parlament werden mit der einfachen Verhältniswahl verteilt. Die stärkste Partei bekommt dann einen Bonus von 50 Sitzen im Parlament. Es gibt 56 Wahlbezirke. Die Abstimmung beginnt um 07.00 Uhr Ortszeit (06.00 MESZ). Die Wahllokale sollen um 19.00 Uhr Ortszeit (18.00 MESZ) schließen. Unmittelbar danach gibt es eine Prognose auf Grundlage von Wählerbefragungen nach der Stimmabgabe. Mit ersten Hochrechnungen nach fortschreitender Auszählung wird gegen 19.30 Uhr MESZ gerechnet. Wahlexperten erwarten jedoch eine lange Nacht, da allen Umfragen nach keine Partei alleine die Mehrheit im Parlament schaffen dürfte und mehrere kleinere Parteien bis zur Auszählung der letzten Stimmen um ihren Einzug ins Parlament zittern werden.
Schon im Juni steht dem neuen Parlament in Athen die nächste Entscheidung über Einsparungen in Höhe von knapp 11,5 Milliarde Euro bevor. Für die europäischen Geldgeber ist dies Voraussetzung für weitere Unterstützung und den Verbleib Griechenlands im Euroland. Jüngste Umfragen zeigten, dass die Griechen den Euro behalten und nicht zur Drachme zurückkehren wollen.
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Auch in diesen Punkten sind sich die Griechen weitgehend einig: Der Staat muss reformiert werden und die Parlamentswahl stellt das Land vor eine historische Entscheidung. „Was auf dem Spiel steht, ist die Zukunft des Landes in den nächsten Jahrzehnten“, sagte der scheidende griechische Ministerpräsident Lucas Papademos bei seiner Abschiedsrede vor dem Ministerrat. Der parteilose Bankexperte kandidiert nicht. Er und seine Regierung haben Griechenland durch die letzten schwierigen Monate geführt und dabei den Weg für Reformen geebnet. Dabei brachten sie den Rekordschuldenschnitt in Höhe von knapp 107 Milliarden Euro unter Dach und Fach. „Fortsetzung der Reformen oder Bankrott“, fasste die den Sozialisten nahestehende Athener Zeitung „Ta Nea“ am Donnerstag zusammen. Auch für die konservative Zeitung „Kathimerini“ gibt es nur einen Weg: „Stabilität und Verbleib im Euroland“, lautet der Tenor kurz vor dem historischen Wahltag.
Dies wiederholen bei jedem Auftritt die Chefs der Konservativen, Antonis Samaras, und der Sozialisten, Evangelos Venizelos. Die meisten Griechen geben den beiden großen Parteien für die katastrophale Entwicklung in den vergangenen Jahren. Beide Parteien wissen, dass sie keine Chance auf die absolute Mehrheit im Parlament haben. Diese Zeiten sind längst vorbei. Es bleibt nur die Hoffnung, als stärkste Partei aus der Wahl hervorzugehen, um das erste Wort bei der Koalitionsbildung zu haben. Wenn die pro-europäischen Kräfte nicht die Mehrheit erringen, drohe in Griechenland der Bankrott, orakelt Sozialistenchef Venizelos.
„Das ist Quatsch“, kontert der Kandidat des Bündnisses der Radikalen Linken (SYRIZA) Vassilis Moulopoulos. Es gebe einen anderen Weg, bei dem diejenigen den Preis der Finanzkrise zahlen sollen, die nach Sicht seiner Partei dafür verantwortlich sind. „Nämlich diejenigen, die Steuern hinterziehen und diejenigen, die ihr Geld ins Ausland bringen.“ Der Chef des Bündnisses der Radikalen Linken, Alexis Tsipras, wird im Ton noch schärfer. Der 37-Jährige charakterisiert die beiden Chefs der Traditionsparteien, Samaras und Venizelos, als „politische Gauner“. Sie seien verantwortlich für die schwere Finanzkrise. Tsipras Vorschlag ist, das Land solle weiter im Euroverbund bleiben, es müsse aber keine Schulden zurückzahlen. „Sowas führt innerhalb kürzester Zeit zum Bankrott“, kontert Pasok-Chef Venizelos. Die gemäßigte Demokratische Linke (DA) schlägt Ähnliches vor. Ihre Wortwahl ist aber höflicher, meinen Analysten. Die Kommunisten sagen es unmissverständlich: „Raus aus dem Euro und der EU jetzt“, fordert ihre Generalsekretärin Aleka Papariga.
Auch im rechten politischen Spektrum gibt es Parteien, die um die Stimmen der enttäuschten konservativen Wähler ringen. „Deutschland soll Reparationen für den Zweiten Weltkrieg zahlen“, lautet immer wieder die Forderung des Chefs der vor einigen Monaten von den Konservativen abgespaltenen Partei der „Unbhängigen Griechen“. Das Land sei von den Geldgebern „besetzt“ und müsse „befreit“ werden. Am rechten Rand macht sich erstmals eine rassistische, ausländerfeindliche und faschistoide Gruppierung namens „Goldene Morgendämmerung“ bemerkbar. Ihre Mitglieder sprechen nie im Fernsehen, sie zeigen den Hitlergruß und behaupten, das kapitalistische System breche zusammen. Ein neues „rassisch reines Griechenland“ sei im Vormarsch. Alle Ausländer aus Afrika und Asien sollen sofort das Land verlassen. Die Faschisten könnten Umfragen zufolge die Drei-Prozent-Hürde des griechischen Wahlgesetztes überspringen und erstmals ins Parlament einziehen.
Vor dem Hintergrund dieser schweren Krise sind viele Bürger verwirrt. Angst vor der Zukunft des Landes und Wut über die Machenschaften der Politiker sind die vorherrschenden Gefühle. „Einerseits will ich die Zukunft meine Kinder und Enkel sichern. Andererseits will ich diese Politiker abstrafen, die unser Land einen Schritt vor den Abgrund geführt haben“, sagt die Apothekerin Ioanna Kimpezi aus dem Athener Stadteil Goudi. Es sind aber ausgerechnet die Kräfte für die Krise und die Arbeitslosigkeit von fast 22 Prozent verantwortlich, die sich jetzt für Stabilität und den Verbleib im Euroland einsetzen. Die anderen Parteien sind unbelastet, sie schlagen aber die gefährlichen Experimente außerhalb des Schutzschirmes der EU vor. Die Wahlentscheidung verunsichert viele Bürger. „Ich werde mich erst entscheiden, wenn ich vor der Urne stehe“, kündigte der Athener Lebensmittel-Verkäufer Nikos Zisis an.